Big Data: Schulbarometer 2025

Big-Data-Erhebungen im Bildungswesen basieren auf der systematischen Analyse großer, oft heterogener Datenmengen. Dabei werden Informationen von Schülerinnen und Schülern, von Lehrkräften oder Schulen erfasst – teils auf nationaler oder internationaler Ebene (z. B. PISA, ICILS, TIMSS). Es fließen viele verschiedene Daten ein: Fragebogendaten, Hintergrundinformationen (z. B. sozioökonomischer Status), Feedbackdaten oder digitale Logdaten (z. B. Klickverhalten in Lernplattformen). Die Erhebungen folgen strengen methodischen Standards und erlauben Vergleiche über Länder, Schulformen oder Zeiträume hinweg. Teilweise werden Daten regelmäßig erhoben (z. B. Schulbarometer), um Trends sichtbar zu machen und Entwicklungen zu analysieren. In der Analyse kommen fortgeschrittene statistische Verfahren wie multivariate Analysen, Clusterverfahren oder maschinelles Lernen zum Einsatz, um Muster zu erkennen, die mit bloßem Auge nicht sichtbar wären.

Warum ist Big Data für Schulen sinnvoll…
Sie zeigen systemische Probleme frühzeitig auf, beispielsweise Digitalisierungslücken, Leistungsdefizite oder Ungleichheiten. Die Ergebnisse liefern Anhaltspunkte für strategische Entscheidungen in Bereichen wie Unterrichtsqualität, digitale Ausstattung oder Lehrkräftefortbildung.

… und wie lassen sie sich vor Ort nutzen?

Schulen benötigen Formate, die es ermöglichen, abstrakte Daten auf die eigene Realität zu beziehen. Das gelingt beispielsweise durch die Nutzung von Fragebögen aus der „großen“ Erhebung. Es werden Vergleichswerte generiert, die es der Schulleitung ermöglichen, gegenüber dem pädagogischen Personal, den Eltern und dem Schulträger zu begründen, warum bestimmte Veränderungen notwendig sind.

    Schulbarometer 2025: Ergebnisse

    Die Studie „Deutsches Schulbarometer 2025 – Lehrkräfte“ der Robert Bosch Stiftung basiert auf einer repräsentativen Online-Befragung von 1.540 Lehrkräften (inklusive Schulleitungen) an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland, durchgeführt im Zeitraum 11. November bis 2. Dezember 2024. Sie untersucht zentrale Herausforderungen, Einstellungen und Bedarfe im Schulalltag aus Sicht der Lehrkräfte und liefert Handlungsempfehlungen für das Bildungssystem.

    Größte Herausforderungen im Lehrerberuf

    • Verhalten der Schüler:innen ist mit 42 % die am häufigsten genannte Herausforderung (Vorjahr: 35 %), besonders an Haupt-, Real- und Gesamtschulen (52 %).
    • Arbeitsbelastung und Zeitmangel werden von 34 % genannt (Vorjahr: 28 %).
    • Heterogenität der Schülerschaft bleibt mit 32 % auf hohem Niveau ein Problem.
    • Weitere Belastungen: Bildungspolitik und Bürokratie (23 %), Personalmangel (20 %), Zusammenarbeit mit Eltern (20 %)

    Demokratiebildung und Partizipation

    • 54 % der Lehrkräfte wünschen sich mehr Demokratiebildung an ihrer Schule, insbesondere an Haupt-, Real-, Gesamt-, Förder- und beruflichen Schulen.
    • Haupthemmnis ist fehlende Unterrichtszeit (77 %), gefolgt von mangelndem Fachwissen im Kollegium (45 %) und fehlendem Unterrichtsmaterial (35 %).
    • Schüler:innen dürfen vor allem bei Klassenregeln (86 %) mitbestimmen, aber selten bei Unterrichtsinhalten (39 % „gar nicht“).
    • Im internationalen Vergleich ermöglichen deutsche Schulen weniger Partizipation

    Heterogenität und Inklusion

    • 71 % der Lehrkräfte sehen in inklusiver Beschulung keinen Vorteil für alle Schüler:innen.
    • Lehrkräfte an Grund- und Förderschulen sowie solche mit einem „Growth Mindset“ (Glaube an die Veränderbarkeit von Fähigkeiten) stehen Inklusion positiver gegenüber.
    • 83 % empfinden Heterogenität als große zusätzliche Arbeitsbelastung.
    • Der größte Fortbildungsbedarf besteht beim Umgang mit psychisch belasteten Schüler:innen (43 %) und beim Unterrichten von Schüler:innen mit Förderbedarf (35 %).

    Berufliche Zufriedenheit und Belastung

    • Über 80 % der Lehrkräfte sind grundsätzlich zufrieden, 70 % würden den Beruf wieder wählen, 90 % arbeiten gerne an ihrer Schule.
    • Fast ein Drittel fühlt sich mehrmals pro Woche erschöpft, 10 % sogar täglich.
    • Besonders jüngere Lehrkräfte berichten häufiger von Erschöpfung und Zynismus.
    • Vier Wohlbefindens-Profile wurden identifiziert; etwa ein Drittel ist „glücklich“, ein weiteres Drittel „zufrieden – leicht erschöpft“, 19 % „unzufrieden – erschöpft“, 14 % „erschöpft – zynisch“.

    Psychosoziale Unterstützung

    • Nur 61 % der Lehrkräfte halten die psychosoziale Infrastruktur ihrer Schule für ausreichend.
    • 60 % berichten von einem Konzept zur Weitervermittlung psychisch belasteter Schüler:innen.
    • 38 % sehen die schulpsychologische Unterstützung als völlig unzureichend an.
    • 47 % beobachten psychische oder physische Gewalt unter Schüler:innen.

    Fortbildung und kollegiale Zusammenarbeit

    • Am häufigsten wurden Fortbildungen zu digitalen Medien (58 %) und unterrichtsbezogenem Fachwissen (44 %) besucht.
    • 43 % sehen Fortbildungsbedarf beim Umgang mit psychisch belasteten Schüler:innen.
    • 45 % unterrichten mehrmals im Jahr im Team, aber nur 24 % hospitierten im vergangenen Jahr regelmäßig bei Kolleg:innen.
    Die Studie empfiehlt gezielte Maßnahmen zur Entlastung von Lehrkräften, zur Verbesserung der psychosozialen Unterstützung an Schulen, zur Förderung von Demokratiebildung und Partizipation sowie zur systematischen Integration von KI in den Schulalltag. Besonders hervorgehoben werden der hohe Fortbildungsbedarf in nahezu allen Bereichen sowie die Notwendigkeit, Lehrkräfte im Umgang mit Heterogenität und Inklusion besser zu unterstützen.

    Das Schulbarometer 2025 als Ausgangspunkt für eine schulindividuelle Schulentwicklung

    In Zeiten wachsender Komplexität und multipler Herausforderungen im Schulalltag wird eines immer deutlicher: Schulentwicklung braucht eine verlässliche Datengrundlage. Das Schulbarometer benennt nicht nur zentrale Problemlagen wie Verhaltensauffälligkeiten, Personalmangel oder Unsicherheiten im Umgang mit KI, sondern stellt auch die vollständigen Fragebögen offen zur Verfügung. Das schafft Transparenz, Nachvollziehbarkeit und vor allem die Möglichkeit, zentrale Erhebungsinstrumente für die eigene Schule zu adaptieren.

    Somit kann das Schulbarometer zum Impulsgeber werden. Welche Fragen lassen sich auf Ihre Schule übertragen? Welche Themen verdienen bei Ihnen besondere Aufmerksamkeit? Und wie können schulinterne Befragungen und Datenauswertungen dabei helfen, aus vagen Eindrücken konkrete Entwicklungsziele zu formulieren?

    Im Folgenden konzentriere ich mich auf die Aussagen zur Nutzungsquantität und -qualität von KI-Tools. Zunächst stelle ich einige Ergebnisse vor, ehe ich darauf eingehe, wie die zur Verfügung gestellten Fragebögen in der Schule eingesetzt werden können.

    Schulbarometer 2025: Aussagen zur Nutzung von KI-Tools

    Umgang mit KI

    62 % der Lehrkräfte fühlen sich im Umgang mit KI-Tools unsicher.

    Nutzung von KI

    • 31 % haben KI-Tools im vergangenen Jahr gar nicht genutzt, 31 % nutzen sie regelmäßig.

    Von denen, die KI-Tools regelmäßig nutzen:

    • Die Mehrheit erwartet negative Folgen des KI-Einsatzes für soziale, kommunikative und kritische Kompetenzen der Schüler:innen, sieht aber Potenziale bei individualisierter Förderung.
    • Hoher Fortbildungsbedarf besteht zur Nutzung von KI im Unterricht und zur Förderung kritischen Denkens

    Anwendungen von KI

    Hauptanwendungen: Aufgaben- und Unterrichtsplanung, selten Bewertung von Schülerarbeiten oder Analyse von Lernverlaufsdaten.

    Rückmeldung zur Arbeitszufriedenheit

    • Über 80 % der Lehrkräfte sind grundsätzlich zufrieden, 70 % würden den Beruf wieder wählen, 90 % arbeiten gerne an ihrer Schule.
    • Fast ein Drittel fühlt sich mehrmals pro Woche erschöpft, 10 % sogar täglich.
    • Besonders jüngere Lehrkräfte berichten häufiger von Erschöpfung und Zynismus.
    • Vier Wohlbefindens-Profile wurden identifiziert; etwa ein Drittel ist „glücklich“, ein weiteres Drittel „zufrieden

    Checkliste für ein schulisches Data-Team

    Ein schulisches Data-Team ist eine kleine Arbeitsgruppe aus Lehrkräften, Schulleitung und ggf. Schulsozialarbeit oder IT-Koordination, die mit Daten systematisch Entwicklungsprozesse anstößt.

    Die folgende Checkliste hilft beim Aufbau und bei der Umsetzung.[1]https://schule-in-der-digitalen-welt.de/1-evaluation/ , https://schule-in-der-digitalen-welt.de/3-evaluation/

    Phase 1: Vorbereitung

    • Zusammensetzung festlegen (max. 5–6 Personen, multiprofessionell)
    • Zeitliche Ressourcen und feste Sitzungsstruktur definieren
    • Schulinterne Fragestellung klären (z. B. „Wie gehen wir als Kollegium mit KI um?“).  Welche Entwicklungsziele hat die Schule (z. B. Unterrichtsqualität, Inklusion, Wohlbefinden)?
    • Relevante Datenquelle identifizieren: z. B. Schulbarometer 2025, Lernstandserhebungen, Feedback

    Phase 2: Datenerhebung planen

    • Small Data: Schülerfeedback, Elternbefragungen, kollegiale Hospitationen, Beobachtungen, Lernstandsanalysen, Evaluation von Projekten
    • Qualitative und quantitative Daten kombinieren (z. B. Umfragen, Interviews, Portfolios)
      • Fragebogen auswählen oder anpassen (ggf. auf KI-Thema fokussieren)
      • Plattform festlegen (z. B. LimeSurvey, Plattformen der Bundesländer)
      • Datenschutz klären (anonym oder pseudonym, Einwilligungen einholen)
      • Kollegium / Zielgruppe informieren und zur Teilnahme motivieren

    Phase 3: Datenauswertung und Interpretation

    • Ergebnisse tabellarisch oder visuell aufbereiten (Balken, Torten, Heatmaps)
    • Ergebnisse mit bundesweiten Schulbarometer-Werten vergleichen
    • Hypothesen entwickeln: Was könnte die Ursache für bestimmte Antworten sein?
    • Diskussionsrunden oder Mini-Workshops im Kollegium einplanen

    Phase 4: Ableiten von Maßnahmen

    Entwicklung konkreter Maßnahmen auf Basis der Daten (gezielte Fortbildungen, Anpassung von Unterrichtskonzepten, …).

      • Ein Ziel pro Thema festlegen (z. B. „KI in drei Unterrichtsfächern erproben“)
      • Verantwortlichkeiten und Zeitrahmen vereinbaren
      • Evaluationstermin setzen (z. B. in 6 Monaten)

    Phase 5: Nachsteuern und sichern

    Maßnahmen werden evaluiert und bei Bedarf angepasst.

      • Rückmeldungen aus dem Kollegium einholen
      • Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen
      • Ergebnisse im Schulentwicklungsbericht dokumentieren
      • Anschlussfragen definieren für die nächste Erhebung

    Fragenbogen

    Zielgruppe: Lehrkräfte (anpassbar für SuS oder SL)
    Format: Online oder Papier, Dauer: ca. 5–7 Minuten
    Skala: trifft nicht zu (1) – trifft kaum/wenig zu (2) – trifft häufig/im Wesentlichen (3) zu – trifft voll zu (4)

    Wahrnehmung & Einstellung zur KI

    • Ich fühle mich sicher im Umgang mit KI-gestützten Tools im Unterricht.
    • Ich schätze das Potenzial von KI zur individuellen Förderung von Schüler:innen.
    • Ich habe Sorge, dass KI-Tools zu Betrug oder Täuschung bei Leistungsnachweisen führen.
    • KI verändert mein Verständnis von Leistung und Bewertung im Unterricht.

    Einsatz im Unterricht

    • Ich habe bereits KI-gestützte Tools im Unterricht eingesetzt.
    • Ich kenne konkrete Tools, die ich im Fachunterricht nutzen könnte.
    • Ich weiß, wie ich den Einsatz von KI pädagogisch und rechtlich verantwortungsvoll gestalte.
    • In meinem Unterricht ist (noch) kein Raum für den Einsatz von KI.

    Schulentwicklung & Unterstützung

    • Unsere Schule hat sich mit Chancen und Risiken von KI bereits systematisch beschäftigt.
    • Ich wünsche mir Fortbildungen oder kollegiale Austauschrunden zu KI-Themen.
    • Es gibt klare Absprachen im Kollegium zum Einsatz von KI (bei Hausaufgaben, Projekten, Prüfungen).
    • Ich sehe KI als festen Bestandteil schulischer Medienbildung in den nächsten drei Jahren.
    Eine datenbasierte Schulentwicklung mit Small Data gelingt, wenn die Schulleitung eine partizipative, lösungsorientierte und reflektierte Kultur etabliert. Die richtigen Fragestellungen orientieren sich dabei an den konkreten Entwicklungszielen der Schule und beziehen alle Beteiligten mit ein. So sind gezielte und wirksame Verbesserungen im Schulalltag möglich. Erfolge stellen sich ein, wenn eine regelmäßige Reflexion stattfindet, Ergebnisse und Maßnahmen offen kommuniziert werden, verbindliche Strukturen angelegt sind (Steuergruppen, Zeitfenster) und die Maßnahmen auf ihre Wirkung hin überprüft und angepasst werden (Evaluation).

    Quelle:

    Wie ist die aktuelle Situation an Schulen in Deutschland? Vor welchen Herausforderungen stehen Lehrkräfte, Kinder und Jugendliche? Mit repräsentativen Umfragen befragen wir Menschen, die Schule täglich mitgestalten und erleben.

    Das Deutsche Schulbarometer Lehrkräfte 2025 zeigt, wo Lehrkräfte aktuell die größten Schwierigkeiten sehen, wo es Fortschritte gibt und welche Bedarfe sie haben. Seit 2019 lässt die Robert Bosch Stiftung regelmäßig repräsentative Umfragen durchführen, um frühzeitig auf Entwicklungen im Bildungssystem aufmerksam zu machen. In der neuen Lehrkräftebefragung, die am 25. Juni veröffentlicht wurde, gab es erstmals Erhebungen zur Nutzung von künstlicher Intelligenz im Schulalltag und zur Demokratiebildung. Das Schulportal hat die wichtigsten Ergebnisse hier zusammengefasst.

    Ergänzende Empfehlung:

    Kritisches Denken, Chancengleichheit, Entlastung: Künstliche Intelligenz verspricht viel – doch laut Schulbarometer stehen Lehrkräfte der Technik noch skeptisch gegenüber. Warum? Und was muss sich ändern?

    Zu guter Letzt...

    In einigen Bundesländern haben die wohlverdienten Sommerferien bereits begonnen. Mit diesem – zugegebenermaßen sehr umfangreichen – letzten Newsletter wünsche ich Ihnen eine erholsame und entspannte Zeit in der vor uns liegenden unterrichtsfreien Zeit. Und danach natürlich einen erfolgreichen Start ins neue Schuljahr!

    Bis Anfang September also …

     Stay tuned 

     

    Titelbild: Anton Grabolle / Better Images of AI / Classification Cupboard / CC-BY 4.0

    Liege: Ulrike Mai @pixabay

     

    Wissenschaftsbuch 2025: Mapmatics (Rezension)

    Wenn ich an meinen Erdkundeunterricht in den 1970er Jahren zurückdenke, dann erinnere ich mich an den Kartendienst, bei dem wir eingerollte Karten in/aus verstaubten und muffigen Räumen transportierten und an das umständliche Hantieren/Rangieren mit dem Kartenständer im Klassenraum. Der Unterricht basierte überwiegend auf klassischen Schulbüchern, Atlanten und Wandkarten. Ein zentrales Element war die Kartenarbeit: Wir lernten, Karten zu lesen, zu interpretieren und geografische Zusammenhänge zu erkennen. Das Schleppen der „DIERKE – Atlanten” war sicher kein Vergnügen. Die Inhalte reichten von physischen Grundlagen (Klima, Vegetation, Landschaftszonen) über Wirtschafts- und Sozialgeographie (Industriestandorte, Stadtentwicklung, Weltwirtschaft) bis hin zu politischen und globalen Themen (Nord-Süd-Gefälle, Entwicklungsländer). Da Kopierer noch nicht flächendeckend vorhanden waren, wurden Arbeitsblätter mit Matrizen vervielfältigt. Der typische Geruch von Spiritus-Matrizen ist mir noch heute in den Nase.

    Der Unterricht war meist lehrerzentriert. Es dominierte der Frontalunterricht, bei dem unser Lehrer Wissen vermittelte und wir überwiegend zuhörten, mitschrieben und auswendig lernten. Der Fokus lag stark auf der Vermittlung von Faktenwissen und weniger auf eigenständigem Arbeiten oder kritischer Reflexion. Unsere Interessen wurden kaum nachgefragt.

    Technische Hilfsmittel waren begrenzt. Overheadprojektoren, Wandkarten und Globusse prägten das Bild. Digitale Medien spielten keine Rolle. Sprachlabore, wie wir sie ab und an im Englischunterricht nutzten, waren im Geografieunterricht unüblich.

    Mit dem folgenden Bild, das die Breite Afrikas und Russlands vergleicht, will ich nun zur Vorstellung und Besprechung des o.g. Buchs überleiten. 

    Kürzlich verbreitete sich das Bild wie ein Lauffeuer in verschiedenen sozialen Netzwerken und stellte alles, was man über Geografie zu wissen glaubte, auf den Kopf. Einer bat sogar darum, ihm das mit dem Verständnis eines Fünfjährigen zu erläutern. Nun ja, daraus wird im Folgenden nichts.

    Es zeigt, dass sich Afrika von West nach Ost 7.200 Kilometer erstreckt – und damit weiter als die 6.400 Kilometer zwischen Europa und Ostrussland. Dennoch erscheint Afrika auf den meisten Karten kleiner. Viele fragen sich: Warum? 

    Mercator vs. Gall-Peters

    So auch Paulina Rowińska:

    Auf der Wandkarte war Grönland so groß wie ganz Afrika, doch auf dem Globus übertraf die Fläche des afrikanischen Kontinents die der weißen Insel bei Weitem. Ich spürte tief in meinem Inneren, dass da etwas nicht stimmte.

    Paulina Rowinska gilt als eine aufstrebende Wissenschaftskommunikatorin mit einem Doktortitel in Mathematik und Statistik vom Imperial College London. Sie erklärte in ihrem TEDX-Vortrag 2017 ‚Let’s Have A Math Party!‘, dass Mathematik überall um uns herum ist. Mapmatics ist ihr erstes Buch.

    Die Mathematik spielt eine zentrale Rolle für das Verständnis von Karten, da sie die Grundlage für die Erstellung, Verzerrung und Interpretation von Karten bildet. Rowińska zeigt in ihrem Buch, dass mathematische Prinzipien notwendig sind, um die geometrischen und physikalischen Probleme bei der Abbildung einer gekrümmten Erde auf eine flache Karte zu verstehen. Beispielsweise erklärt sie, wie die Mercator-Projektion durch mathematische Formeln verzerrt und warum diese Verzerrungen unweigerlich sind, da die Oberfläche der Erde gekrümmt ist. Die Mathematik ermöglicht es, die Grenzen der Kartographie zu erkennen, Fehler zu verstehen und bewusst mit den Verzerrungen umzugehen.

    Diese Verzerrung passt (…) zur allgemeinen Weltsicht vom mächtigen Norden und dem unbedeutenden Süden. In der Mercator-Projektion hat ganz Südamerika eine mit Grönland vergleichbare Größe, obwohl es in Wahrheit achtmal größer ist. Das scheinbar riesige Alaska ist in Wahrheit kleiner als das nach Mercator so unscheinbare Libyen.

    Zudem erklärt sie, wie mathematische Werkzeuge wie Triangulation oder Logarithmentafeln verwendet werden, um Karten zu erstellen und deren Genauigkeit zu verbessern. Insgesamt ist die Mathematik integraler Bestandteil, um die Konstruktion, die Grenzen und die Auswirkungen von Karten auf unser Weltbild zu begreifen.

    Zur Veranschaulichung der mathematischen Phänomene hier nun einige „Auflösungen“:

    Der Kartograf fand eine Lösung, die Kugelform der Erde auf Karten umzusetzen – eine bahnbrechende Entwicklung für die Seefahrt.

    Eine flächentreue Projektion, die die wahren Größenverhältnisse der Kontinente zeigt.

    Die Flagge der Vereinten Nationen besteht aus dem weißen Emblem auf himmelblauem Hintergrund. Das Emblem zeigt eine azimutale äquidistante Projektion der Weltkarte mit dem Nordpol als Mittelpunkt, wobei der Globus an der Datumsgrenze ausgerichtet ist . Die Projektion der Karte erstreckt sich bis zum 60. südlichen Breitengrad und umfasst fünf konzentrische Kreise. [1]https://en.wikipedia.org/wiki/Flag_of_the_United_NationsHätten Sie es gewusst?

    Ausführliche Darstellung mit Bezug der Ausgangsfrage (s.o.).

    Geschichte und Politik

    Neben der Mathematik spielen auch andere Schulfächer wie Geschichte und Politik eine bedeutende Rolle beim Verständnis von Karten. Rowińska hebt hervor, dass Karten nicht nur technische Dokumente sind, sondern auch gesellschaftliche und politische Dimensionen besitzen. Beispielsweise vermeidet die Mercator-Projektion nicht nur mathematische Verzerrungen, sondern zeigt auch eine europazentrische Sichtweise, die politische Implikationen hat, indem sie bestimmte Kontinente kleiner oder größer erscheinen lässt als in Wirklichkeit.

    In ihrem Buch wird außerdem deutlich, dass historische Aspekte der Kartenerstellung, wie die Seekartentricksereien von Kolumbus oder die Entwicklung der Kartografie im Laufe der Geschichte, das Verständnis für die Entstehung und den Einfluss von Karten erweitern. Diese historischen Einblicke sind auch für den Geschichtsunterricht relevant und verdeutlichen, wie Karten die Weltanschauung und gesellschaftliche Strukturen geprägt haben.

    Darüber hinaus zeigt Rowińska, dass Karten wichtige Werkzeuge in der Politik, etwa bei der Wahlkreiseinteilung (USA, Ungarn, Polen). Die Manipulation oder Verzerrung von Karten kann politischen Entscheidungen zugrunde liegen, weshalb das Verständnis gesellschaftlicher und politischer Zusammenhänge durch Kenntnisse in diesen Fächern unterstützt wird.

     

    Einfluss der Karten auf unser Leben

    Karten beeinflussen unseren Alltag und unsere Entscheidungen auf vielfältige Weise, indem sie uns helfen, Informationen zu verorten, Zusammenhänge zu erkennen und Handlungen zu planen. Rowińska hebt in ihrem Buch hervor, dass Karten nicht nur geografische Darstellungen sind, sondern auch in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Umwelt lebensrelevante Entscheidungen erleichtern oder sogar retten können. Beispiele dafür sind etwa Karten von Krankheitsepidemien, die helfen, Ausbrüche einzudämmen und Maßnahmen zu ergreifen, oder Karten von Schulbezirken, die den Zugang zu Bildung beeinflussen und den späteren Schulerfolg bestimmen.

    Im Alltag begegnen wir Karten ständig, sei es bei der Navigation mit GPS, bei der Planung von Reisen oder beim Verstehen regionaler Unterschiede. Die Verzerrungen und Grenzen, die Rowińska anhand der mathematischen Hintergründe erklärt, sind auch in Anwendungen wie Wahlkreisen, Verkehrsnetzen oder Klimamodellen sichtbar: Sie prägen, wie wir Orte wahrnehmen und welche Entscheidungen wir treffen. Die Wahl einer Route, die Platzierung von Infrastruktur oder die Einschätzung von Umweltgefahren basieren alle auf Karten, deren Erstellung durch komplexe mathematische Überlegungen beeinflusst wird.

    MINT-Fächer in der Kultur der Digitalität

    Ausgehend von den Seekartentricksereien des Christoph Kolumbus’ bei der Organisation seiner Entdeckungsreisen werden wir durch die Mathematik unendlich langer Küstenlinien, Wahlkreisverschiebungen (Gerrymandering), problematischer preußischer Brücken, der Suche nach Flugzeugwracks über dem Atlantik und der Entdeckung des Erdaufbaus geführt. Wir erfahren etwas über das umfangreiche mathematische Thema, das der Karte der Londoner U-Bahn zugrunde liegt, sowie über die Ungerechtigkeiten, die sich aus der Festlegung von Schulbezirksgrenzen in den Vereinigten Staaten ergeben. 

    Der Geografieunterricht von heute unterscheidet sich deutlich von dem der 1980er Jahre, da digitale Medien stark integriert sind. Digitale Tools wie Google Earth, interaktive Kartenabfragen oder Apps zum Zeichnen eigener Karten oder Klimadiagramme sind heute gängige Mittel, um geografische Inhalte interaktiv und anschaulich zu vermitteln. Fortgeschrittene Technologien wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) werden zunehmend genutzt, um Lerninhalte immersiv erlebbar zu machen, beispielsweise durch virtuelle Exkursionen oder interaktive 3D-Modelle.

    Fächerübergreifender Unterricht (Mathematik, Geografie, Politik und Wirtschaft, …) fördert die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, sich in Raum und Umwelt zu orientieren, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und reflektierte, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Er unterstützt die politische Bildung und bereitet Schülerinnen und Schüler auf die Herausforderungen einer digitalisierten und globalisierten Welt vor.

    Noch einmal Rowińskas:

    Unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entscheiden, welche Karten wir brauchen. Andererseits haben Karten unsere Geschichte verändert, und sie werden zweifellos auch unsere Zukunft verändern. Karten von Krankheitsepidemien können Leben retten; Karten von Schulbezirken können den späteren Schulerfolg von Kindern erleichtern oder behindern; Karten vom Meeresgrund können uns helfen, die Effekte des Klimawandels abzumildern. Hinter jeder Karte steckt Mathematik. Mathematik hilft Kartographen, die jeweils am besten geeignete Projektion auszuwählen, indem sie die damit einhergehenden Verzerrungen erklärt. Mathematik ermöglicht es Liefer- und Zustelldiensten, die optimalen Routen für ihre Fahrer zu planen. Mathematik steht uns zur Seite, wenn wir durch labyrinthische Städte fahren. Wann immer wir eine Karte öffnen, halten wir die Ergebnisse von Jahrhunderten mathematischer Forschung in Händen. Selbstfahrende Autos wären vermutlich immer Science-Fiction geblieben, hätte Gauss nicht an Kurven geforscht, Snell die Triangulation nicht verbessert, Euler nicht die Graphen erfunden – und das alles schon vor Hunderten von Jahren.

    Wer für die beginnende Sekundarstufe etwas sucht, für den bietet sich vielleicht Mapstories an?! Der Anbieter schreibt: Hier werden Geschichten rund um die Welt erzählt! Das Tool bietet vielfältige Optionen, um globale Zusammenhänge mithilfe von Orten als Stationen auf einem Globus zu veranschaulichen. Durch das Einbinden eigener Medien und Inhalte bekannter Plattformen wie zum Beispiel Youtube, TikTok oder Google Street View können Nutzer:innen ab 13 Jahren interaktive Mapstories gestalten. So werden Fragestellungen des Globalen Lernens und der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Sinne des Storytellings innovativ erarbeitet und dargestellt. In der Galerie finden Sie Beispiele für Mapstories.

    Zusammenfassung

    Rowiński gelingt es, selbst komplexe mathematische und kartographische Themen lebendig, anschaulich und für Laien verständlich zu erklären – oft mithilfe von Anekdoten und zahlreichen Grafiken. Wer es genauer wissen möchte, kann die zahlreichen Querverweise und Quellenhinweise nutzen. Mapmatics ist in Form einer episodischen Geschichte geschrieben und erzählt von kartografischen und mathematischen Durchbrüchen. Mathematische Symbole sind auf ein Minimum beschränkt. Daher empfehle ich das Buch für Schülerinnen und Schüler, die sich für ein MINT-Studium interessieren. Vor allem die Vorstellung zweier Frauen sollte junge Frauen motivieren, sich den Naturwissenschaften zu nähern. Gegen alle Widerstände gelingen ihnen Lösungen.

    Rowiński selbst beschreibt das so:

    Große Bereiche unseres Planeten wären heute noch immer rätselhaft ohne die außergewöhnlichen Leistungen von zwei außergewöhnlichen Frauen – Inge Lehmann und Marie Tharp – und vielen anderen, die in ihre Fußstapfen getreten sind. Mathematiker und Kartographen hatten nicht nur Einfluss darauf, wie wir die Welt sehen, sondern auch darauf, wie wir in ihr funktionieren. Mit dem Smartphone in der Tasche halten wir Karten für etwas Selbstverständliches und vergessen all die großartige Wissenschaft und die Technologie, denen sie ihre Existenz verdanken. Alle Karten haben Schwächen, und doch wäre unsere Wirklichkeit ohne sie eine ganz andere. Selbst wenn sie zwangsläufig nicht perfekt sein können, machen Karten unser heutiges Leben erst möglich.

    Und als Bestätigung für die Leistungsfähigkeit von Frauen im MINT-Bereich, insbesondere in der Krankenpflege, empfehle ich diesen Podcast:

    Als die britische Krankenschwester Florence Nightingale am 4. November 1854 im Lazarett in Scutari ankommt, sterben im Schnitt vier von zehn Patienten. Mithilfe von statistischen Analysen und deren visueller Aufbereitung kann Nightingale die Sterblichkeitsrate unter den verletzten und kranken Soldaten drastisch senken.

    Wer noch weitere Impulse für Themen zur Wahrscheinlichkeitsrechnung/Statistik sucht:

    Statistik in der Schule: Ideen und Anregungen

    Stay tuned

    Bildnachweis: Ausschnitt aus Buchcover

    Hattie, Hattie, Hattie, …

    Im Rahmen meiner Blogreihe >>Datengestützte Schulentwicklung<< bin ich mehrfach auf neuere Publikationen sowie Interview- und Videobeiträge von John Hattie gestoßen. Zur Erinnerung [1]https://de.wikipedia.org/wiki/John_Hattie: John Hattie ist ein neuseeländischer Bildungsforscher und Professor für Pädagogik. Er ist international bekannt für seine Arbeiten zur Unterrichts- und Lernwirksamkeit. Sein Hauptanliegen ist es, herauszufinden, welche Faktoren tatsächlich einen positiven Einfluss auf den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern haben. Hatties zentrales Forschungsfeld ist die Meta-Analyse von Bildungsstudien. Dabei wertet er systematisch eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen aus, um zu ermitteln, welche Einflüsse im schulischen Kontext besonders wirksam sind. Diese Forschung mündete in seinem bekanntesten Werk „Visible Learning“ (2009) – eine Synthese von zunächst über 800 Meta-Analysen mit Daten von Millionen Lernenden weltweit. Inzwischen wurde die Datenbasis auf mehr als 2 100 Meta-Analysen ausgeweitet (siehe nächster Abschnitt). Hattie möchte Lehrkräften, Schulleitungen und Bildungspolitikern vermitteln, was wirkt – und was nicht. Dabei geht es nicht um einzelne Methoden, sondern um ein tieferes Verständnis lernwirksamer Prozesse:

    • Wie denken Lehrkräfte über Lernen?

    • Wie gut erkennen sie, ob ihre Schüler lernen?

    • Wie klar kommunizieren sie Lernziele?

    • Wie konsequent arbeiten sie mit Feedback?

      Visible Learning - The Sequel

      Mit Visible Learning – The Sequel haben Hattie, Wernke und Zierer eine umfassende Weiterentwicklung des ursprünglichen „Visible Learning“-Konzepts vorgelegt. Die Autoren haben die Datenbasis erheblich erweitert: Die aktuelle Forschung stützt sich auf über 2.100 Meta-Analysen mit mehr als 130.000 Studien und schätzungsweise 400 Millionen Lernenden weltweit. Der Fokus liegt erneut auf der Untersuchung von Einflussfaktoren auf das Lernen. Darüber hinaus werden Strategien und Methoden zur effektiven Gestaltung von Unterricht und Förderung des Lernens vorgestellt. Etablierte Unterrichtspraktiken werden hinterfragt und es wird erörtert, wie diese verbessert werden können.

      In den Pädagogik-Heften des Jahres 2025 des Beltz-Verlags gehen die beiden deutschen Autoren auf das Werk ein:

      Darüberhinaus stellt Alexander Brand (deusches Schulportal) das Buch hier vor. 

      Curriculum for Deep Thinking

      Im deutschen Schulportal gibt John Hattie unter  dem Titel „Weniger Lehrplan, mehr Leidenschaft!“ ebenfalls einige Hintergrundinformationen. Darüberhinaus erwähnt er in diesem Interview die im Open Access frei gegebene Publikation Developing Curriculum for Deep Thinking. Eine dazu im Dialog mit ChatPDF erstellte Zusammenfassung findet sich hier:

      Developing Curriculum for Deep Thinking

        DE-Implementierung

        In einer Spezialfolge von Benedikt Wisniewski mit dem Titel „Spezial: De-Implementierung | Gespräch mit John Hattie [deutsche KI-Übersetzung]“ geht es um den Satz „Weniger ist mehr“. Der bei einem bayerischen Schulamt tätige Schulpsychologe  unterhält sich mit John Hattie darüber, was De-Implementierung ist, warum sie für Schulen wichtig ist und welche Schwierigkeiten dabei auftreten können. Diese Version wurde mit einer KI-Software für deutsche Hörerinnen und Hörer synchronisiert.

        Making Room for Impact

        In seinen jüngsten Interviews, Keynotes und Videokonferenzen beschäftigt sich der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie vor allem mit Kompetenzen im KI-Zeitalter. So in dem School Leaders Project The future of AI in schools with John Hattie, Dylan Wiliam, Arran Hamilton. In diesem Podcast diskutieren John Hattie, Dylan Wiliam und Aaron Hamilton ihre Publikation Making Room for Impact: A De-implementation Guide for Educators: A De-implementation Guide for Educators mit dem Schwerpunkt: KI im Bildungswesen. Das YT-Video habe ich im Dialog mit ChatPDF ausgewertet:

        Making Room for Impact

        Peer Feedback

        Lernen braucht Dialog – nicht nur zwischen Lehrenden und Lernenden, sondern auch zwischen Gleichaltrigen. Wenn Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig Feedback geben, entsteht eine Lernkultur des Vertrauens, der Verantwortung und der Reflexion. Peer-Feedback ist damit weit mehr als eine methodische Ergänzung – es ist ein Katalysator für Selbstwirksamkeit und vertieftes Lernen. Darüber hinaus geht es bei der Integration von Peer-Feedback in den Unterricht nicht nur darum, die Chancen auf eine gute Note zu erhöhen, sondern auch darum, die Lernenden auf die reale Welt vorzubereiten. In praktisch jedem Beruf muss man:

        • die eigene Arbeit bewerten,
        • Kolleginnen und Kollegen Feedback geben,
        • konstruktive Kritik akzeptieren und einbeziehen.

        Damit das gelingt, braucht Peer Feedback klare Strukturen, gemeinsame Kriterien und Raum für Fehlerfreundlichkeit. Besonders wirksam wird es, wenn es eingebettet ist in einen Dreiklang aus Selbsteinschätzung, Peer-Rückmeldung und professionellem Feedback.

        Praxisbeispiel: Projektunterricht

        Ich nehme dabei eine Übersetzungsarbeit von Gratian Riter auf: Er hat eine Sammlung zu Projektideen erstellt, die sich für eine schulische Behandlung eignen. In einem fächerübergreifenden Projekt erstellen Schülerinnen und Schüler häufig in Gruppen kreative Endprodukte. Diese werden in einem Zwischenschritt durch Peer-Feedback anhand eines Kriterienrasters bewertet. Die Rückmeldungen sind konkret und konstruktiv: „Ich habe verstanden, dass…“, „Besonders gelungen finde ich…“, „Ich würde vorschlagen…“.

        Digitale Tools wie TaskCards, Padlet oder FelloFish strukturieren den Prozess und machen Rückmeldungen nachvollziehbar. In einer Reflexionsphase wird sichtbar, wie die Rückmeldungen das Produkt verbessert haben – und wie sehr sich die Beteiligten dabei als Lernende und Lehrende zugleich erleben.

        Mini-Curriculum

          Ein schulweites Feedbackverständnis entsteht nicht über Nacht. Peer Feedback kann aber systematisch aufgebaut werden. Der Artikel Lernerlebnisse durch formatives Peer- und Self-Assessment fördern von Prof. Steve Joordens schlägt vor (ich übertrage nun auf die Schulwelt):

          • Bewertungsschemata und klare Kriterien: Die Forschung zeigt, dass Lernende viel effektiver bewerten, wenn sie explizite Bewertungsschemata erhalten, die beschreiben, wie eine „gute Arbeit“ aussieht
          • „Just-in-Time“(JiT)-Mikro-Lernressourcen können ebenfalls die Qualität und Konstanz des Feedbacks verbessern. Diese Methode wurde in den 1950er Jahren von Toyota entwickelt. Das Ziel war einfach: Die exakten Teile, die für die Produktion benötigt werden, nur dann bereitzustellen, wenn sie benötigt wurden. Das sparte Platz, senkte die Kosten und sorgte für einen reibungsloseren Ablauf.  JiT blieb nicht in der Fertigung — es stieg in die Welt des Lernens ein. Genau wie in der Fertigung vermitteln JIT-Schulungen den Mitarbeitern genau das, was sie brauchen, und zwar genau dann, wenn sie es brauchen, etwa (ich übertrage auf die Schulwelt)
            • zur Unterstützung der Lernenden bei der Entwicklung von kreativen Produkte,
            • für Kurzanleitungen für Arbeiter (z. B. kurze Trainingsvideos, Screencasts),
            • Auffrischungen für Beschäftigte im Gesundheitswesen (z. B. durch interaktive Lernaktivitäten) ,
            • Kompetenztrainings (z. B. durch Dialogsimulation).
          • Kalibrierungsübungen: Bevor Lernende an einer Peer-Assessment-Übung teilnehmen, können sie gemeinsam eine Arbeitsprobe bewerten und ihre Bewertungen und Begründungen besprechen, um ihre Standards anzugleichen.
          • Anonyme Bewertungen: Durch die Anonymität von Peer-Bewertungen werden Voreingenommenheiten reduziert und die Lernenden fühlen sich wohler, ehrliches zu Feedback geben und zu erhalten.
          • Mehrere „Gutachter:innen“: Wenn mindestens drei Schülerinnen und Schüler jede Einreichung bewerten, werden individuelle Voreingenommenheiten ausgeglichen und ein umfassenderes Feedback gewährleistet.

          Schlussbemerkungen

              „Peer- und Self-Assessment verlangen nicht nur neue Formate, sondern vor allem eine neue Haltung – bei Lernenden und Lehrenden.“ Sie soll zusammenfassend

              • durch Einführung in Feedbackprinzipien, durch Übungssituationen mit Beispielen ein Verständnis ermöglichen,
              • durch den Einsatz in kleinen Aufgaben, durch eine kontinuierliche Begleitung durch die Lehrkräfte eine Anwendung einüben,
              • durch Feedback in Portfolioarbeiten und Präsentationen eine Förderung der Selbstständigkeit ermöglichen und
              • durch regelmäßige Reflexion, Einbindung in Leistungsentwicklungsgespräche eine Feedbackkultur verankern.

               … stay tuned …

              P.S. 

              Ich habe übrigens im analogen Instrumentenkatalog auf meiner Themenseite Feedback einen Thread von Sebastian Eisele aufgenommen. Er stellt Feedbackbögen für SuS – LK (alle cc0) sowie Möglichkeiten ihrer Auswertung vor.

              Bildnachweis:

              by RosZie @pixabay

              Leselust – Deep Reading

              In der Ausgabe 18/2025 titelt Die ZEIT: „Ein Land verlernt das Lesen”. In dem Dossier wird dennoch deutlich: Trotz der scheinbar sinkenden Leselust in der Schule und bei Jugendlichen gibt es positive Signale und neue Formen des Lesens, die oft übersehen werden. Insbesondere digitale Textwelten, Memes, Manga und multilinguale Kommentare zeugen von einer hohen Textkompetenz, die im traditionellen Bildungssystem jedoch kaum anerkannt wird. Lehrerinnen und Lehrer sollten die vielfältigen Lesekompetenzen junger Menschen wertschätzen und entsprechend fördern, um ihre Leselust nachhaltig zu stärken.

              Im Zusammenhang mit der Grafik

              ©ZEIT-GRAFIK/Quelle: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) 2003 bzw. 2013 bis 2024, Basisdaten: Studierende aus der deutschen Bevölkerung

              lässt sich sagen, dass die herkömmliche Sicht auf Leselust und Lesefähigkeit oft eine eingeschränkte Perspektive hat. Während traditionelle Bildungsstandards und Tests (z. B. PISA) vor allem die Fähigkeit zum Verstehen und Analysieren komplexer literarischer Texte betonen, zeigen andere Lesewelten, dass Jugendliche in digitalen Textwelten komplexe Strukturen und Mehrdeutigkeiten gut erfassen können. Das Problem ist, dass die Bildungspolitik und Lehrpläne diese vielfältigen Fähigkeiten nicht ausreichend anerkennen. Dadurch wird die Leseförderung im klassischen Sinne vernachlässigt.

              Fördermaßnahmen

              Kurz gesagt wird im Artikel gefordert, die Herangehensweisen an die Leseförderung zu überdenken. Es geht nicht nur um klassische Buchlektüre, sondern um eine breitere Wertschätzung aller Formen des Textverstehens und der Interaktion mit Texten, um die Leselust wirklich zu fördern. Lehrerinnen und Lehrer sollten die Textkompetenz in ihrer Vielfalt erkennen und die Nutzung dieser Kompetenzen im Unterricht bewusst gestalten, um die Leserinnen und Leser von morgen besser zu erreichen.

              Um die Leselust von Schülerinnen und Schülern zu fördern und ein tiefes Verständnis beim Lesen zu erreichen, sollten Lehrerinnen und Lehrer laut den im Dossier (mit Leitartikel, Interview und Text zu „Hoffen auf TikTok“) dargestellten Perspektiven und Empfehlungen vor allem auf die folgenden Methoden konzentrieren:

              • Lesestrategien trainieren. Dazu gehört das Training von Begriffsklärung, Textstrukturierung, Annotationen und kritischer Reflexion. Durch Diskussionen, gemeinsame Textanalysen und interpretatorische Übungen können Schülerinnen und Schüler ein tieferes Verständnis entwickeln. Das gemeinsame Arbeiten an Texten im Unterricht fördert das kritische, ausführliche Lesen, also das >Deep Reading<.
              • Schülerinnen und Schüler sollten ermutigt werden, eigene Gedanken zum Text schriftlich oder mündlich zu formulieren. Dabei kann das Formulieren in eigenen Worten, das Argumentieren und das kritische Hinterfragen unterstützt werden, um ein tiefes Textverständnis zu entwickeln.
              • Der Einsatz moderner Medien kann den Zugang zu Texten erleichtern und die individuelle Auseinandersetzung fördern, beispielsweise durch das Annotieren digitaler Texte oder multimediale Angebote. Gleichzeitig ist die Förderung der Lesefähigkeit im analogen Raum wichtig, insbesondere durch gemeinsames Lesen und Vorlesen.
              • Förderung der Leselust außerhalb des Unterrichts: Eltern und außerschulische Akteure sollten aktiv Lesekulturen fördern, beispielsweise durch Empfehlungen, Leseevents oder die Schaffung einer positiven Leseatmosphäre zu Hause und in der Freizeit.

              Kommentare

              Interessant sind übrigens die unter dem Leitartikel veröffentlichten Kommentare. Hier ist der Versuch einer strukturierten Zusammenfassung, die die wichtigsten Argumentationen, Meinungen und Kontroversen im Kontext der im Text behandelten Themen rund um Lesekompetenz, Textverständnis und die gesellschaftlichen Auswirkungen des Leserverhaltens zusammenfasst:

              Positive Aspekte des langen Lesens:

              • Fördert kritisches Denken, Textverständnis und gesellschaftliche Teilhabe
              • Tiefgehendes Lesen wird als Grundpfeiler für Demokratie und Kulturtechnik gesehen

              Probleme und Herausforderungen:

              • Rückgang der Fähigkeit, längere, komplexe Texte zu lesen, bei Schülerinnen, Studierenden und Erwachsenen
              • Viele Jugendliche und Studierende scheitern an wissenschaftlichen Texten
              • Gesellschaft wird oberflächlicher, was demokratische Prozesse gefährdet

              Meinungen und Kontroversen:

              • Einige plädieren für eine Anpassung an neue Medienformate, z. B. kürzere oder digitale Texte
              • Andere fordern stärkere Förderung von Tiefenlesen, Lesekompetenz und kulturellen Bildung
              • Es besteht eine Kritik an Planungs-, Lehr- und Prüfungsstandards in Bildungssystemen

              Schlussbemerkung

              Das Dossier beschreibt, wie schwierig es ist, sich an komplexe Texte heranzuwagen, und zeigt auf, welche Auswirkungen das auf die Universitäten und die zukünftige Kultur des Landes hat. Es geht auch darum, wie viel Übung und Zeit nötig sind, um sich literarische und wissenschaftliche Texte anzueignen und warum so viele Studierende dazu nicht mehr in der Lage sind.

              Manche wundern sich möglicherweise, warum ich mich als ausgebildeter Naturwissenschaftler so „reinhänge“. Nun, die im Dossier formulierten Forderungen betreffen nicht nur sprachliche und geisteswissenschaftliche Fächer. Die Bedeutung des Textverständnisses in den Naturwissenschaften, insbesondere im Hinblick auf die Fähigkeit, wissenschaftliche Texte zu durchdringen und kritisch zu analysieren, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade in diesen Fächern ist die Auseinandersetzung mit Fachtexten unabdingbar, um Forschung nachvollziehen und eigene Erkenntnisse gewinnen zu können. Aussagen aus der Bildungsforschung weisen darauf hin, dass die Fähigkeit, komplexe wissenschaftliche Texte zu lesen und zu verstehen, in der Unterrichtspraxis der biologischen, medizinischen und naturwissenschaftlichen Fächer nicht ausreichend gefördert wird bzw. dass es diesbezüglich Schwierigkeiten gibt.

              Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass das Verständnis wissenschaftlicher Inhalte, eigenständiges Denken und wissenschaftliche Weiterbildung als zentrale Kompetenzen gelten. Ohne diese Fähigkeit wären sowohl die wissenschaftliche Forschung als auch die gesellschaftliche Teilhabe im digitalen Zeitalter erheblich erschwert.

              … stay tuned …

              Titelbildnachweis: Gerd Altmann @pixabay

              Evaluation (8): Blick in die Schweiz

              Datengestützte Schulentwicklung: Was wir von unseren Nachbarn lernen können 

              In meiner bisherigen Blogreihe zur datengestützten Schulentwicklung habe ich verschiedene Facetten dieses Ansatzes beleuchtet: von den Potenzialen großer und kleiner Daten („Big Data“ vs. „Small Data“) über konkrete Praxisbeispiele bis hin zu einem „Big Picture“, das zeigt, wie sich unser Bildungssystem auf allen Ebenen weiterentwickeln könnte. Nationale und internationale Studien belegen, dass Schulen, die ihren Unterricht und ihre Schule datengestützt weiterentwickeln, auf lange Sicht erfolgreicher sind. Durch eine Verbesserung der Schul- und Unterrichtsqualität sollen die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler verbessert werden. Dies trägt zu einer Erhöhung von Bildungschancen und Bildungsgerechtigkeit bei. Immer wieder zeigt sich: Wer systematisch Daten erhebt und reflektiert, kann fundierte Entscheidungen treffen – sei es zur Unterrichtsentwicklung, zur Schulorganisation oder zur gezielten Förderung einzelner Schülergruppen.

              Doch die Diskussion über datengestützte Schulentwicklung bleibt kontrovers. Kritiker befürchten eine Reduktion von Bildung auf Zahlenwerte, warnen vor einem übermäßigen Verwaltungsaufwand und sehen die Gefahr, dass Daten ohne nachhaltige Konsequenzen erhoben werden. Diese Bedenken sind berechtigt und machen deutlich: Daten allein bringen noch keinen Wandel – es kommt darauf an, wie Schulen mit ihnen arbeiten.

              Mit diesen Gedanken bin ich in den Austausch mit Schweizer Kolleginnen und Kollegen gegangen. Ihre Ansätze zeigen, dass datengestützte Schulentwicklung nicht nur ein technokratisches Verfahren ist, sondern ein Kulturwandel, der Lehrkräfte aktiv einbindet und Schulentwicklung als gemeinschaftlichen Lernprozess versteht. Welche Erfahrungen sie gemacht haben, welche Herausforderungen sie sehen und was wir aus ihrem Umgang mit Daten lernen können, möchte ich in diesem Beitrag teilen.

              Die Basis für umfassende Veränderungsprozesse bildet das Wissen um die Stärken und Schwächen der Schule. Daher werden im Verlauf der Schulentwicklung kontinuierlich Daten erhoben, um die Schulentwicklung datenbasiert und systematisch anzulegen. „Selbstevaluation basiert auf der Überzeugung, dass Schulqualität erhalten und gefördert werden kann, wenn Lehrkräfte vor Ort ihre Erfahrungen und ihr Wissen austauschen und für Entwicklungen fruchtbar machen. Sie sind es, welche die Schulqualität hervorbringen und die umfassendsten Kenntnisse über die lokale Schule und ihr Umfeld besitzen.“ [1]Brägger, G. & Posse, N. (2007), Instrumente für die Qualitätsentwicklung und Evaluation in Schulen. Bern: hep, IQES-Band 1, S. 181 – 187

              IQES Online

              Der Schweizer Erziehungswissenschaftler Gerold Brägger verantwortet u. a. die Plattform IQES-Online. Die Website bietet für registrierte Benutzer bewährte Feedback- und Evaluationsinstrumente, Praxismaterialien und Methodenkoffer für einen schüleraktivierenden Unterricht. Vielen Schulen fehlen die Werkzeuge und die Zeit, eigene Evaluationsinstrumente zu entwickeln, schriftliche Befragungen durchzuführen, die Daten einzugeben und zu analysieren. IQES online bietet hier eine Aufwand schonende und professionelle Alternative. Lehrpersonen und Schulen können das Angebot nutzen, um gezielt Feedbacks zum Unterricht, zu den Wirkungen des Unterrichts und zur Qualität der Schule zu erhalten.

              Die Daten werden graphisch zu Qualitätsprofilen aufbereitet und enthalten Hinweise für Verbesserungs-potenziale. Mit IQES online können Schulen eine bedarfsgerechte und gezielte Selbstevaluation der Unterrichts- und Schulqualität durchführen. Die zur Verfügung gestellten Erhebungsinstrumente sind so konzipiert, dass mit ihnen nach erwiesenermaßen wirksamen Einflussgrößen guter Schulen gefragt wird. Es werden keine unnötigen Daten erhoben, sondern nur solche, die Hinweise auf relevante Qualitätsfaktoren liefern. Das schont den Aufwand und unterstützt eine Entwicklung, die sich an den angepeilten Wirkungen orientiert. Lehrpersonen und Schulen gewinnen konkrete Ansatzpunkte, wo sie ihre Qualität im Speziellen pflegen, aufbauen bzw. sicherstellen können.

              Ich kenne IQES-Online aus eigenen (früheren) Arbeitszusammenhängen und kann die Plattform uneingeschränkt empfehlen. Nicht nur im Hinblick auf die Bereitstellung von Feedbackinstrumenten, die ausführlich und anhand konkreter Fragestellungen vorgestellt werden. Darüber hinaus hat man Zugriff auf Artikel aus einschlägigen pädagogischen Fachzeitschriften, z.B. aus der Reihe des Beltz-Verlags.

              Dialogisches Lernen nach Gallin

              Feedback ist ein komplexes und differenziertes Konstrukt, das viele verschiedene Formate besitzt und unterschiedliche Auswirkungen auf das Lernen der Schüler*innen aufweisen. Feedback ist umso effektiver, je mehr Informationen damit verknüpft sind. Feedback ist im Durchschnitt leistungsfähig, aber einige Formate zeichnen sich besonders aus. Vor allem der Umgang mit Fehlern und das Prozess(=Peer)feedback!

              Es ist wichtig, dass Schulen einen ausgewogenen Ansatz verfolgen und sicherstellen, dass sowohl Schülerinnen und Schüler mit Schwierigkeiten als auch lernstarke Schülerinnen und Schüler angemessen unterstützt werden. Ein individualisierter und differenzierter Unterrichtsansatz kann dazu beitragen, eine positive Lernumgebung für alle Schülerinnen und Schüler zu schaffen. Phasenunbhängig sind Überlegungen anzustellen, wie personalisiertes Lernen organisiert werden kann.

              Dialogisches Lernen (nach Gallin) ist ein pädagogischer Ansatz, der auf dem Dialog, also auf der aktiven Kommunikation und Interaktion zwischen Lehrern und Schülern sowie unter den Schülern selbst, basiert. Der Fokus liegt dabei auf gemeinsamem Konstruieren von Wissen und Verständnis. Hier sind einige grundlegende Merkmale des dialogischen Lernens:

              • Gemeinsames Konstruieren von Wissen: Im dialogischen Lernen wird Wissen nicht nur vom Lehrer zum Schüler übertragen, sondern gemeinsam konstruiert. Lehrer und Schüler bringen ihre Perspektiven, Ideen und Erfahrungen in den Dialog ein, um ein tieferes Verständnis zu fördern.
              • Aktive Beteiligung: Die Lernenden sind aktiv am Lernprozess beteiligt. Der Dialog ermutigt sie dazu, Fragen zu stellen, ihre Meinungen auszudrücken, ihre Ideen zu teilen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
              • Interaktion und Kommunikation: Dialogisches Lernen betont die Bedeutung von Interaktion und Kommunikation. Der Dialog kann sowohl zwischen Lehrer und Schüler als auch zwischen den Schülern selbst stattfinden. Dies fördert den Austausch von Gedanken, Ideen und Perspektiven.
              • Kooperation: Die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Schülern sowie unter den Schülern ist ein zentrales Element des dialogischen Lernens. Gemeinsames Denken und Arbeiten fördern eine positive Lernumgebung.
              • Förderung von kritischem Denken: Durch den Dialog werden die Lernenden ermutigt, kritisches Denken zu entwickeln. Sie werden dazu angeregt, Fragen zu stellen, Annahmen zu hinterfragen und verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen.
              • Anpassung an die Bedürfnisse der Lernenden: Der Lehrer passt den Dialog an die individuellen Bedürfnisse und Vorkenntnisse der Schüler an. Dies bedeutet, dass der Unterricht flexibel gestaltet wird und auf die Dynamik der Lerngruppe reagiert.
              • Reflexion: Der Dialog beinhaltet oft Reflexionsphasen, in denen die Schüler über ihren eigenen Lernprozess nachdenken und ihre Erfahrungen auswerten.

              Diese Form des „Turn it in“-Verfahrens (Hattie) habe ich im Rahmen unserer Fortbildungsinitiative „Kompetenzorientiertes Unterrichten in Mathematik und Naturwissenschaften (KUMN)“ kennengelernt. Vor allem in der 4. Phase „Kompetenzen stärken und erweitern“ habe ich dieses Feedback-Instrument eingesetzt. Aus Zeitgründen nach Absprache. Und auch, weil nicht alle Schülerinnen und Schüler so intensiv beraten werden wollten. Darauf musste ich Rücksicht nehmen und habe deshalb ergänzend andere Verfahren eingesetzt.

               

              Sehr lesenswerter Artikel mit – für mich – überraschend neuen Erkenntnissen, mit allerdings lediglich indirektem Bezug zum Gallin Konzept. Und doch sind die Ausführungen zum hybriden Ansatz im Zusammenhang mit KI in diesem Kontext mehr als eine Überlegung wert …

              Q2E

              Das u. a. von den beiden Schweizer Erziehungswissenschaftlern Norbert Landwehr und Peter Steiner (Pädagogische Hochschule FHNW) entwickelte Label «Q2E» steht für «Qualität durch Evaluation und Entwicklung» und ist ein Qualitätsmodell, das seit rund 20 Jahren im Bildungsbereich bekannt ist. Das Q2E-Modell entstand im Rahmen eines interkantonalen Schulentwicklungsprojekts mit Berufsfachschulen und Gymnasien aus acht Deutschschweizer Kantonen. Q2E wurde ins Leben gerufen, um die Schulen als entwicklungsfähige, selbst gesteuerte «pädagogische Einheiten» zu stärken und um sie bei der bewussten Qualitätsgestaltung zu unterstützen. Den Projektverantwortlichen war es ein Anliegen, konkrete Ansatzpunkte und Hilfsmittel zu finden, um diese beiden Kernanliegen – Stärkung
              der pädagogischen Einheit und bewusste Gestaltung der Qualität vor Ort – in ihrer wechselseitigen Verbindung in die Schule hineinzutragen.

              Das zentrale Anliegen von Q2E ist es, die Schulen beim Aufbau und bei der Umsetzung eines schulinternen Qualitätsmanagements durch die praxisnahe Beschreibung von Instrumenten, Verfahren, Problemlösungen usw. zu unterstützen. Im Rahmen unserer Ausbildung zum Schulinspektor kamen wir mit den beiden Wissenschaftlern in einen direkten Kontakt und profitierten von deren vielfältigen Erfahrungen.

              In unseren Workshops setzten wir uns immer wieder mit aktuellen Fragestellungen auseinander. So auch in Fragen der Freiwilligkeit und Verpflichtung von Maßnahmen, z. B. im Umgang mit dem im hessischen Schulgesetz verankerten Notwendigkeit eines MitarbeiterInnen- und Jahresgespräches. Leider waren sie in den seltensten Fällen als geeignetes Instrument einer Professionalisierung anerkannt worden. Landwehr stellt aus den Erfahrungen seiner Q2E Projekte[2]https://www.q2e.ch/ fest, dass

              • bei der routinemäßigen Erfüllung des Schulgesetzes die Lernabsicht verloren geht: Die Rückmeldungen werden zwar von der Schulleitung vorschriftsgemäß eingeholt und bestenfalls „zur Kenntnis genommen“. Sie werden aber nicht wirklich als Quellen des persönlichen Lernens genutzt. (Das Jahresgespräch) verkommt so zu einem wirkungslosen Ritual, das die ihm ursprünglich zugedachte Funktion verloren hat.
              • der Widerstand gegen institutionelle Zumutungen oder gegen erzwungene Selbstreflexionen die Energie absorbiert, die eigentlich für konstruktive Auseinandersetzungen zur Unterrichtsqualität aufgewendet werden sollte. 

              Aber auch die Freiwilligkeit hat ihre Tücken, so Landwehr weiter: Sie bringt es nämlich mit sich, dass institutionell erwünschte Aktivitäten in Konkurrenz treten zur Möglichkeit der individuellen, bedürfnisorientierten Zeitnutzung. Da für die überwiegende Mehrzahl der Lehrpersonen – zumindest längerfristig – die Attraktivität der freien Zeitnutzung größer ist als diejenige einer institutionell vorgegebenen Kooperationsüberlegung, besteht die Gefahr, dass freiwillige Maßnahmen in relativ kurzer Zeit „versanden“. Hinzu kommt, dass ein wirksames Qualitätsmanagement nicht der individuellen Beliebigkeit überlassen werden darf. Vielmehr besteht vonseiten der (direkten und indirekten) Leistungsempfängerinnen und -empfänger der berechtigte Anspruch, dass die Institution für einen bestimmten Qualitätslevel des Unterrichts besorgt ist – unabhängig von der Interessenlage der betreffenden Lehrpersonen.

              Als Lösungsvorschlag für die hier angedeutete Problemstellung wurde in der Schweiz im Rahmen des Q2E-Projektes das sogenannte PUQE-Modell [3]PUQE steht als Abkürzung für „Persönliche, unterrichtsbezogene Qualitätsentwicklung“ entworfen. Der Leitgedanke, der dem Modell zugrunde liegt, lässt sich wie folgt umschreiben: Die institutionelle Verbindlichkeit ist weniger auf das Instrument (hier Jahresgespräch) gerichtet, als vielmehr auf seinen Zweck: nämlich auf die persönliche, unterrichtsbezogene Qualitätsentwicklung.[4]https://www.q2e.ch/wp-content/uploads/sites/162/2020/05/q2e-heft-3-grundlagen-zum-aufbau-einer-feedbackkultur.pdf

              Das Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung (Österreich) hat die Entwicklung von Professionalität im internationalen Kontext betrachtet und folgenden „Domänen“ identifiziert:

              Diese fünf Domänen von Professionalität von LehrerInnen bestimmen das LehrerInnenhandeln im Alltag, und zwar weitgehend unabhängig von Schultyp und Fach. Die entwickelten Domänen bieten Anregungen für die Gestaltung von LehrerInnenbildung, machen wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich und liefern Impulse und inhaltliche Bausteine. Der Fokus wird einerseits auf den zu verändernden organisatorischen Rahmen von LehrerInnenarbeit gelenkt, andererseits werden individuelle Bildungs- und Lernprozesse der Lehrerinnen als entscheidenden Ansatzpunkt gefördert. So werden beide Perspektiven – die Systemebene und die subjektive Ebene – gleichermaßen berücksichtigt. Die entworfenen Domänen machen deutlich, dass eine Weiterentwicklung der Strukturen des Bildungssystems erforderlich sein wird, aber gleichzeitig auch die Person der Lehrerin bzw. des Lehrers aufgefordert ist, in und mit diesen Strukturen als Expertin bzw. als Experte in diesem Sinne „professionell“ umzugehen. Die Verschränkung der beiden Perspektiven ist Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung der entwickelten Domänen – um sie als neue Denkmuster in die Praxis zu bringen. Daraus kann sich ein neues Professionsbewusstsein entfalten und vielfältige Entwicklungsperspektiven können entstehen. [5]https://paedagogik-news.stangl.eu/fuenf-domaenen-der-professionalitaet-von-lehrerinnen

              Die Idee hinter PUQE (in Anwendung auf das EPIK-Modell, vgl Grafik) ist nun, dass sich jede Lehrkraft für einen Zeitraum (z. B. zwei Jahre) eines der Domänen auswählt und sich individuell und/oder kollaborativ damit auseinandersetzt. Qualitätsmerkmale (Evaluation, Dokumentation, …) sind auszuhandeln, individuell und/oder in Zusammenarbeit mit dem Personalrat. 

              Empirisch gesichert ist die Aussage, dass Schulleitungshandeln an lernwirksamen Schulen dann erfolgreich ist, wenn sie sich „… nah dran“ zeigt.  Was heißt das genau? Die folgende Tabelle weist vier Eigenschaften aus[6]https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs35834-019-00243-5:

              Die Haltung der Schulleitung wird immer dann deutlich sichtbar, wenn sie sich im Rahmen des jeweiligen Schulkontexts handlungsleitenden, pädagogischen Grundüberzeugungen verpflichtet fühlt. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie

              • am und zum Kind orientiert sind,
              • bei der Personalauswahl mitentscheidend sind,
              • die Bedürfnisse aller berücksichtigen und
              • sich in der beständigen Weiterentwicklung der Schule widerspiegeln.

              Sie zeigen, wie nah die Schulleitungen am bzw. hinter dem jeweiligen Schulprogramm bzw. den Schulkonzepten stehen, was sie jederzeit selbstbewusst, klar und deutlich vertreten. (…) Die Schulleiter/innen sehen sich auch dafür verantwortlich, die wünschenswerte Qualität der Schule zu gewährleisten. Hierzu gehören Überprüfungen und Diskussionen des pädagogischen Konzepts und dessen Inhalte sowohl intern mit dem Kollegium, Eltern, Schüler/innen und weiteren Personen, die in unterschiedlicher Funktion in der Schule tätig sind, als auch mit externen Expert/innen, die beispielsweise Vorträge oder Workshops bei schulinternen Fortbildungen halten oder wissenschaftliche Untersuchungen durchführen.

              Zum Schluss noch eine weitere Anregung zum PUQE-Konzept, wieder aus Österreich, die ich kürzlich im Podcast „Jöran ruft an …“ kennen gelernt habe:

              Weiterführende Literatur

              Begleitete Selbstevaluation

              Steiner/Landwehr haben überlegt, ob eine Evaluation – im Vergleich zu Q2E – niederschwelliger gestaltet werden kann. Ausgangspunkt waren Antworten auf die Frage: Warum scheitern schulinterne Evaluationen oft? Hier in aller Kürze die Schlussfolgerungen aus ihrer langjährigen Praxis:[7]https://www.hep-verlag.ch/begleitete-selbstevaluation, S. 11 ff

              • Gründe für das Scheitern schulinterne Evaluationen
                • Ein fehlendes Erkenntnisinteresse führt dazu, dass das Instrument (z.B. Fragebogen) im Vordergrund steht, anstatt eine brennende Fragestellung zu beantworten.
                • Schulen mangelt es an geeigneten Hilfs- und Unterstützungsinstrumenten, um Evaluationsinstrumente auf ihre spezifischen Fragestellungen und Qualitätsleitbilder zuzuschneiden.
                • Die Aufmerksamkeit der Evaluationsverantwortlichen konzentriert sich oft auf die instrumentell-technische Ebene, während die kommunikative Ebene vernachlässigt wird.
                • Schulinterne Evaluationen sind oft mit überbordenden Perfektionsansprüchen belastet, was zu einer zeitlichen Verzögerung der Projekte führt.
                • Evaluationen führen oft zu Ergebnissen ohne spürbare Konsequenzen, da die Evaluationsresultate nicht konkret etwas bewegen.
                • Die Meinung, dass Evaluationen nichts bringen, wird durch das Ausbleiben von Konsequenzen bestätigt.
              • Weitere Gründe für das Scheitern schulinterne Evaluationen
                • Evaluationen werden einseitig auf quantitative Instrumente und Verfahren ausgerichtet, wobei “Evaluieren” oft als “Beschaffen von quantitativen Daten” verstanden wird.
                • Es wird oft wenig überlegt, ob eine quantitative Befragung dem Thema und dem Ziel der Befragung überhaupt angepasst ist.
                • Zahlen aus quantitativen Fragebogenerhebungen werden oft als wenig aussagekräftig empfunden und müssen erst rückübersetzt werden.

              Das neue Evaluationsformat basiert auf sechs zentralen Merkmalen, die für erfolgreiche Evaluationen entscheidend sind: [8]ebda.,  S. 20ff

              1. Eng umrissener Zeitrahmen: Ein klar definierter Zeitrahmen für die Durchführung aller Schritte (Datenerhebung, Datenauswertung und Rückmeldung) ist essenziell. Dies führt zu einer Verdichtung des Evaluationsprozesses.
              2. Schulinternes Evaluationsteam: Ein Team von vier bis sechs Personen, das die Planung, Durchführung der Evaluation, sowie die Aufbereitung und Rückmeldung der Daten übernimmt. Die Schulleitung sollte in diesem Team vertreten sein, um wichtige Entscheidungen unterstützen zu können,.
              3. Evaluation als “Event”: Die Evaluationsschritte der Datenerhebung und der Rückmeldung müssen für das Kollegium sichtbar und erlebbar sein. Diese Schritte sind zentrale Ereignisse, die prominent im Jahresplan der Schule eingebunden werden sollten.
              4. Mix aus quantitativen und qualitativen Daten: Die Evaluation sollte einen ausgewogenen Mix aus quantitativen und qualitativen Daten nutzen, um ein umfassenderes Bild und eine datengestützte Auseinandersetzung zu ermöglichen.
              5. Datengestützte Reflexion im Kollegium: Das Kollegium muss aktiv in den Reflexionsprozess einbezogen werden. Die Interpretation der Daten und die Ableitung von Maßnahmen sollen durch das Kollegium selbst erfolgen,.
              6. Begleitung durch Evaluationsfachperson: Eine externe Evaluationsfachperson begleitet den Prozess, um das Know-how zu erhöhen, den Arbeitsprozess zu moderieren und sicherzustellen, dass die Evaluation den erforderlichen Standards entspricht,.

              Das Verfahren wurde in der Praxis mit zahlreichen Schulen erfolgreich umgesetzt. Selbstevaluationen unterstützen die Schulen einerseits bei der Weiterentwicklung von Knowhow für die Durchführung von internen Schulevaluationen, andererseits bei der Qualitätsentwicklung. Neben der Grundform werden drei Varianten angeboten: Partnerschul-Peer-Review, die Fragebogenbasierte Selbstevaluation und die extern geleitete Selbstevaluation (vormals Critical-Friend-Approach). Die beiden folgenden Quellen (Print, online) stellen u. a. diese drei Varianten in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung.

              Wie lassen sich Qualitätsmerkmale von Schulen wirksam messen? Wie kann an Schulen nachhaltig für eine positive Entwicklung gesorgt werden, die sich auf eine vorangehende Bestandsaufnahme abstützt? «Begleitete Selbstevaluation» beschreibt ein Handlungsmodell für die Gestaltung von schulinternen Evaluationen. Das innovative Format vereint die Vorteile von Selbst- und Fremdevaluationen auf einzigartige Weise: Die aktive Mitbeteiligung der Schule am Evaluationsprozess und die Begleitung durch eine externe Fachperson sind die erfolgsversprechenden Merkmale des Modells. Die Publikation richtet sich an Schulleitungen, Leiterinnen und Leiter von Qualitätsgruppen, Verantwortliche für Evaluationsprojekte sowie Begleitpersonen von Schulentwicklungsprojekten, die das Spannungsfeld zwischen Ist und Soll als tragfähige Entwicklungsimpulse nutzen möchten.

              Begleitender Onlineauftritt zum Buch, mit Übersicht und Erfahrungberichten

              Berichte einiger Schweizer Kantone

              Die Schweiz gilt mit ihren vier Landessprachen als mehrsprachiges Land. Das Bildungssystem ist föderalistisch aufgebaut. Grundsätzlich gilt eine kantonale Schulhoheit mit einer dezentralen Organisation des Bildungswesens.
              Erste Unterschiede zu Deutschland zeigen sich bei der Schulpflicht. Sie beginnt bereits im Alter von vier Jahren (Kindergarten). An die Primarschule schließt sich die Sekundarstufe I an, die je nach Kanton in verschiedene Leistungs- bzw. Anforderungsniveaus unterteilt ist. Diese Stufen dienen dazu, die Schüler entsprechend ihren Fähigkeiten und Interessen zu fördern. Die gebräuchlichsten Bezeichnungen sind

              • Sekundarschule (mit allgemeinen, erweiterten und progymnasialen Anforderungen)
              • Realschule (mit dem Ziel eines Abschlusses als Grundlage für eine Berufsausbildung)
              • Werkschule (ist für lernbehinderte Jugendliche bestimmt, nicht in allen Kantonen vorhanden)

              Knapp 95 Prozent der Schüler:innen besuchen eine öffentliche Schule in ihrer Wohngemeinde – etwa 5 Prozent eine Privatschule. Das pädagogische Personal (Schulleitung, Lehrkräfte) ist nicht verbeamtet.
              Die Zuständigkeiten für diese Schulen liegen bei den Kantonen. Diese sind für folgende Aspekte verantwortlich:

              • Festlegung von sprachregionalen Lehrplänen, Stundentafeln und Lehrmitteln
              • Verpflichtung für die Harmonisierung von landesweiten Zielen und Strukturen
              • Finanzierung der Bildungsausgaben (90 Prozent)

              Die Gemeinden organisieren den Schulbetrieb.

              Auf der Sekundarstufe II sind sowohl die Kantone als auch der Bund zuständig. Über 90 Prozent der Jugendlichen erreichen einen Abschluss. Dieser ermöglicht den direkten Einstieg in die Berufswelt, den Übertritt in eine höhere Fachschule oder – mit der Matura(=Abitur), der Fachmatura oder der Berufsmatura – den Übertritt in eine Hochschule. Die Maturitätsquote liegt bei rund 41 Prozent. Selbstständiges, wissenschaftliches Arbeiten und das Verfassen einer Maturaarbeit sind Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss. In vielen Fächern ist die Durchführung und Auswertung einer empirischen Studie Voraussetzung, es gibt aber auch Fächer, in denen auf der Basis von Literaturrecherche gearbeitet werden kann. Bei meinen Besuchen konnte ich mich von der hohen Qualität der Arbeiten überzeugen. Im Kanton Zürich werden die besten Arbeiten prämiert und gefeiert. [9]https://maturitaetsarbeiten.ch/cms/archiv.html

              Wie sieht es nun bezüglich der datengestützten Schulentwicklung aus?

              Kanton Zürich

              Das Projekt Smarte Schulen II (SMASCH II), geleitet von der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH), erforscht, wie Digitalisierungskonzepte für Schulen nachhaltig gestaltet werden können. Es untersucht, wie KI-gestützte Plattformen die Schulentwicklung unterstützen können, und entwickelt Modelle und Werkzeuge, die in verschiedenen europäischen Ländern getestet werden.

              Kanton Basel-Stadt

              Das Programm Schulentwicklungsprojekte fokussiert auf die Unterrichtsentwicklung. Als Ausgangsfrage stehen konkrete Herausforderungen, wie sie sich in den Schulen permanent
              stellen. So ist die enorme Heterogenität in der Volksschule Basel-Stadt ein Umstand, der häufig beklagt wird. Forderungen nach mehr Ressourcen und Entlastung stehen oft im Raum. Um den komplexen Herausforderungen in den Klassenräumen adäquat zu begegnen, müssen jedoch andere Wege entwickelt werden. Auf pädagogischer und didaktischer Ebene braucht es Ansätze und Strategien, die die Lehrpersonen stärken, sie in ihrer Selbstwirksamkeit unterstützen und am Ende für die Schülerinnen und Schüler zu ausgeprägteren Lernerfolgen führen. Zudem sollen diese neuen Ansätze direkter spürbar für die pädagogische Praxis werden.

              Kanton Bern

              • Das Gymnasium Kirchenfeld in Bern hat durch systematisches Qualitätsmanagement nach dem Modell Q2E (Qualität durch Evaluation und Entwicklung) signifikante Fortschritte erzielt. Es wurden klare Ziele formuliert, die Umsetzung neuer Methoden gefördert und die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüft. [10]Rechsteiner_Maag_Merki_2024_Datenbasierte_Schulentwicklung.pdf
              • Externe Schulevaluationen haben gezeigt, dass datenbasierte Ansätze die Unterrichtsqualität verbessern können, indem sie gezielte Maßnahmen zur Förderung von Schüler:innen und Lehrpersonen ermöglichen.
              • Durch die Nutzung von Daten konnten gezielte Fördermaßnahmen entwickelt werden, die Schüler:innen mit Lernschwierigkeiten besser unterstützen. Dies führte zu einer messbaren Verbesserung der Leistungen in zentralen Fächern wie Mathematik und Sprachen.
              • Schüler:innen profitieren von individualisierten Lernplänen, die auf Basis von Daten erstellt wurden, um ihre spezifischen Bedürfnisse zu adressieren.

              Kanton Luzern:

              • Die Dienststelle Gymnasialbildung hat durch evidenzbasierte Konzepte eine stärkere Qualitätskultur geschaffen. Lehrpersonen und Schulleitungen wurden in der Nutzung von Daten geschult, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
              • Das Projekt „Luuise“ (Lernen sichtbar machen) hat gezeigt, wie Lehrpersonen durch Selbstevaluation ihren Unterricht verbessern können. Es hat sich als effektives Werkzeug zur Förderung von Reflexion und Unterrichtsentwicklung erwiesen. Und es hat sich gezeigt, dass Schüler:innen durch regelmäßiges Feedback an Lehrpersonen aktiver in den Lernprozess eingebunden werden. Dies stärkt nicht nur ihre fachlichen Kompetenzen, sondern auch ihr Selbstbewusstsein. [11]Publikationen_Luuise
              • Die Einführung von datenbasierten Reflexionsprozessen hat dazu beigetragen, das Wohlbefinden der Schüler:innen zu steigern, da ihre Perspektiven stärker in die Unterrichtsgestaltung einfließen.

              Andere Kantone in der Schweiz:

              • Kanton Aargau: Der Kanton setzt auf ein umfassendes Bildungsmonitoring, das Daten zur Unterrichtsqualität und Schülerleistungen systematisch erfasst und analysiert.
              • Kanton St. Gallen: Hier wird ein digitales Tool namens „Schulnetz21“ genutzt, das Schulen bei der Qualitätsentwicklung unterstützt und datenbasierte Entscheidungen erleichtert.

              Die Ansätze zur datengestützten Schulentwicklung in den verschiedenen Kantonen der Schweiz unterscheiden sich in mehreren Aspekten:

              1. Methoden und Werkzeuge:
                • Bern: Modelle wie Q2E (Qualität durch Evaluation und Entwicklung) werden verwendet, um klare Ziele zu formulieren und die Wirksamkeit von Maßnahmen zu überprüfen.
                • Luzern: Projekte wie „Luuise“ setzen auf Selbstevaluation und Reflexion, um die Unterrichtsqualität zu verbessern.
                • Zug: Digitale Tools und Plattformen werden eingesetzt, um datenbasierte Schulentwicklung zu erleichtern.
                • Tessin: Es werden spezifische Evaluationsmethoden für Gymnasien genutzt.
              2. Zielgruppen:
                • Bern: Der Fokus liegt auf der gesamten Schulgemeinschaft, einschließlich Schüler:innen und Lehrpersonen.
                • Luzern: Lehrpersonen und Schulleitungen stehen im Mittelpunkt der Initiativen.
                • Zug: Die Zusammenarbeit zwischen Schulen und der Pädagogischen Hochschule wird betont.
                • Tessin: Gymnasien und deren spezifische Bedürfnisse stehen im Vordergrund.

              Auch technologiebasierte Ansätze spielen eine wichtige Rolle in der datengestützten Schulentwicklung in der Schweiz. Hier sind einige Beispiele:

              1. Kanton Luzern:
                • Der Bildungs- und Förderprozess im Bereich kognitive Entwicklung nutzt digitale Tools wie das Lehreroffice, um Förderpläne effizient zu erstellen und zu verwalten. Instruktionsfilme unterstützen Lehrpersonen bei der Nutzung dieser Technologien.
              2. Schweizweit:
                • Das Projekt Bildungslandschaften21 hat zum Ziel, alle Personen und Institutionen, die ein Kind bzw. Jugendlichen erziehen, zu betreuen und zu begleiten. Dabei soll Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) ermöglicht werden. Die bisherigen Erfahrungen wurden in einer so genannten Toolbox festgehalten. Sie stellt konkrete Werkzeuge zur Verfügung, damit das Rad nicht neu erfinden werden muss.
                • Das Projekt BeLEARN erforscht die Auswirkungen der Digitalisierung auf Bildungsverläufe und entwickelt datengestützte Instrumente für schulische Digitalisierungsstrategien. Es untersucht, wie Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) erfolgreich in den Unterricht integriert werden können.
                • Förderndes Qualitätsevaluations-System (FQS): Dieses Qualitätsmanagement-Modell wurde seit 1993 auf Initiative des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) entwickelt. Es verknüpft Qualitätssteuerung und -prüfung systematisch mit Schulentwicklung und wird heute von über 100 Schulen in der Schweiz genutzt.

                • Datenkompetenzen von Schulen – Instrument zur Selbsteinschätzung: Die Fachhochschule Graubünden hat ein Selbstevaluationsinstrument entwickelt, mit dem Schulen ihre Kompetenzen im Umgang mit Daten objektiv einschätzen und gezielte Weiterentwicklungsmaßnahmen ergreifen können.

              3. Internationale Ansätze:
                • Projekte wie „Luuise“ setzen auf digitale Plattformen, um Lehrpersonen bei der Selbstevaluation und Unterrichtsentwicklung zu unterstützen.

              Weiterführende Literatur:

              Schlussbemerkung

              Die Einblicke aus der Schweiz zeigen eindrucksvoll, wie datengestützte Schulentwicklung gelingen kann. Konzepte wie IQES und Q2E verdeutlichen, dass eine systematische Qualitätsentwicklung durch praxisnahe Instrumente unterstützt werden kann. Besonders spannend ist der Ansatz der begleiteten Selbstevaluation, bei der Schulen nicht nur Daten erheben, sondern diese auch im Dialog mit externen Experten (Schulentwicklerinnen und -entwickler) und Institutionen (z. B. benachbarte Schulen) reflektieren und daraus konkrete Entwicklungsmaßnahmen ableiten.

              Auch die Berichte aus den Kantonen machen deutlich: Erfolgreiche Schulentwicklung ist kein isoliertes Unterfangen, sondern profitiert von einer starken Vernetzung in der Region und einer gemeinsamen Kultur der Reflexion. Diese Erfahrungen laden uns ein, unsere eigenen Ansätze kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, wie wir bewährte Methoden auf unsere spezifischen Bedingungen anpassen können. Indem wir datenbasierte Reflexion und Innovation gezielt fördern, schaffen wir die Grundlage für eine nachhaltige Schulentwicklung – jenseits bloßer Zahlen, aber auf Basis fundierter Erkenntnisse.

              Das bestätigt auch dieser Beitrag aus der Reihe „Jöran ruft an…“:

              Was mich ebenfalls begeistert, sind Entwicklungen von innovativen Unterrichtstools:

              LearningView ist für Schülerinnen und Schüler ein Werkzeug zur Planung, Dokumentation und Reflexion ihres eigenen Lernprozesses und zur Förderung ihrer Selbstlernkompetenzen. Was kann ich eigentlich schon, wo muss ich noch etwas tun, welche Aufgaben wähle ich mir dazu aus usw. Dazu verwenden sie ihre persönlichen digitalen Geräte, wie Smartphones, Tablets oder Notebooks. In LearningView legen sie für sich und für die Lehrperson Lernprodukte in Form von Texten, Bildern, Audio- und Videoaufnahmen und Dokumente ab. In Portfolios dokumentieren und strukturieren sie Lernprozesse und Lernprodukte.

              Für Lehrerinnen und Lehrer ist LearningView primär ein organisatorisches und diagnostisches Werkzeug für einen individualisierten Unterricht. Wer heute bereits mit Wochen- oder Arbeitsplänen unterrichtet, wird schnell einen Mehrwert darin erkennen. Wo stehen die einzelnen Schüler gerade, wer braucht wo Unterstützung, welche Inputs plane ich für die nächste Stunde usw. Die Lehrperson stellt für jeden Kurs oder einzelnen Schülerinnen und Schülern geeignete Lerngelegenheiten zusammen, die sie auch mit Kollegen teilen kann.

              Für Lehrpersonen, welche im Unterricht Lehr- und Lernmaterialien aus unterschiedlichen Quellen benützen, ist es eine Herausforderung dem Lernprozess Struktur zu geben und den individuellen Arbeitsstand der Lernenden zu überblicken.

              Mit Lernpfad bieten wir Lehrpersonen eine Plattform, mit welcher Unterrichtsszenarien medien- und quellenübergreifend abgebildet werden können. Ein Lernpfad besteht dabei aus einem Ziel und beliebig vielen Lernschritten und kann mit Lernenden geteilt werden.

              Das Angebot wird wegen fehlender Anschlussfinanzierung im August 2025 migriert:

              zebis.digital ist ein Angebot von zebis – das Portal für Lehrpersonen. Mit dem frei zugänglichen Editor wollen wir die Entwicklung digitaler Unterrichtsmaterialien unterstützen. zebis.digital setzt sich für die Veröffentlichung von offenen Unterrichtsmaterialien ein, (OER – Open Educational Resources).

              Das Modell des Schulentwicklungsrads bildet die Grundlage für alle Weiterbildungen der PH Zürich mit Fokus auf Schulentwicklung. Nun bietet dazu eine neue Website konkrete Arbeitsmaterialien und Referenzbeispiele, die kostenfrei zur Verfügung stehen.

              Sind Sie interessiert?

              Ich habe eine Themenseite mit allen bisherigen Beiträgen eingerichtet: Datengestützte Evaluation

              Benötigen Sie Beratung und Unterstützung? Beim Aufbau eines regionalen Netzwerks, bei der externen Begleitung einer Evaluation? Nehmen Sie Kontakt mit mir auf …

              … Stay tuned …

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