Im Zusammenhang mit den Diskussionen rund um Fernunterricht, aka Hybridlernen, aka Homeschooling werden immer wieder Forderungen nach einer digitalen Plattform laut. Florian Emrich (Konrektor einer Grundschule, Medienberater in NRW) in einem Tweet: “Ich hätte ja gerne einen Wahl-o-mat für schulische Lernmanagementsysteme. 10 Fragen beantworten und gewichten und danach eine Anzeige bekommen, welches aktuell verfügbare System am ehesten passend ist.” So oder ähnlich dürfte es aktuell vielen vor Ort Entscheidern gehen, seien es Schulleitungen und/oder Schulträger. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit möglichen Einführungsszenarien in Schulen.

Vorab folgende Definition des Begriffs „digitale Lernumgebung“:

Digitale Lernumgebungen stellen interaktive Systeme dar, die den Lerninhalt, pädagogische Modelle sowie Interaktionen zwischen den Lernenden an die individuellen Bedürfnisse und Präferenzen der Benutzer anpassen und personalisieren.

Eine Lernplattform bzw. Learning Management System (LMS) ist ein komplexes Content-Management-System, das der Bereitstellung von Lerninhalten und der Organisation von Lernvorgängen dient. Aufgabe einer web-basierten Lernumgebung ist, die Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden zu ermöglichen. Sie fungiert als Schnittstelle zwischen Bildungsanbieter und lernender Person. Nicht darunter fallen Bildungsinhalte, die über das Internet angeboten werden, wie die üblichen Webpräsenzen oder -portale. Vorteile einer Lernplattform sind Entlastung im Lehrbetrieb, die Regelung des Informationsflusses, Vereinfachung des Lernens und Übernahme zahlreicher Verwaltungsaufgaben.

Zunächst zwei einführende Videos: Das linke (bzw. das erste) Video stammt von studiumdigitale und ordnet Begrifflichkeiten ein, das rechte Video (bzw. das zweite) zeigt einen Ausschnitt aus einem Film von Valerie Henschel: Schulen im Corona-Stress – Lernen aus der Krise. Sie stellt in dieser Filmpassage eine Schule aus Mainz vor, wie sie eine digitale Plattform in den aktuellen Corona-Zeiten nutzt.

Stellvertretend für diese Definition/ Praxis stehen Softwaresysteme wie z. B. Moodle, DiLer, WebWeaver®, itslearning®, IServ®, HPI Cloud, schulmanager online, die unter einer zentralen Oberfläche mehrere aufgabenspezifische Teilprogramme anbieten, mit denen verschiedene Lernszenarien unterstützt werden, u. a.:

  • Dateiablage: Grundsätzlich können sowohl Lehrkräfte wie auch Schülerinnen und Schüler Ordner anlegen und Dateien hoch- und herunterladen.
  • Wiki individualisiert und global, mit unterschiedlichen Schreib- und Leserechten
  • Blog, individualisiert und global, mit unterschiedlichen Schreib- und Leserechten
  • Schwarzes Brett (Forum) mit Schreibrechten für alle Mitglieder der Lerngruppe
  • Chat: Alle Mitglieder der Lerngruppe können chatten.
  • Videoconferencing: Tool, das im Wesentlichen in einem Präsentations- und / oder Schreibtisch- Sharing besteht
  • Umfragen: Tool, das sowohl für Meinungsumfragen als auch für Feedbackgaben genutzt werden kann
  • Lernpfade: Tool, das strukturierte Wege durch eine Reihe von aufeinander abgestimmten Arbeitsaufträgen entwickeln hilft. Schülerinnen und Schüler können dann im Unterricht und/ oder zu Hause selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten und üben.

Lehrkräfte und Lernende kommunizieren mit diesem passwortgeschützten System über einen gewöhnlichen Webbrowser bzw. eine App. Gemeinsam ist diesen Konzepten, dass trotz einer einheitlichen Gestaltung der Lernumgebung eine auf den Lernenden zugeschnittene, individualisierte und personalisierte Darstellung des Lernmaterials möglich ist. Das gelingt mit Werkzeugen zur Erstellung, Kommunikation und Verwaltung von Lerninhalten sowie zur Koordination von webbasierten Lernangeboten und zur Beurteilung der Lernenden (Feedback-, Umfragetools).

Digitale Lernumgebung: Kritik

Medienaffine Lehrkräfte wie Aus- und Fortbildner*innen äußern sich kritisch zu dieser Form der digitalen Didaktik. Twitter- und Blogbeiträge zweier Pädagogen verweisen darauf, dass ein LMS letztlich “old school” sei, da es die SAMR-Stufe 2 nie verlasse …

Kritik aus der universitären Lehre (Phase 1)

Herbert Hertramp ist Ausbilder von Lehramtsstudentinnen und -studenten und hat sich in einem Thread mit dem LMS Moodle auseinandergesetzt 1:

Habe nun etliche Zeit mit der Frage verbracht, ob Moodle in der heutigen Zeit wirklich noch zur Online-Lehre taugt. Hm, mein Fazit würde ich überschreiben mit: “Moodle zementiert das Modell der geschlossenen Klassentüre”.

Ja, man kann feine Sachen in Moodle umsetzen. Wenn man viel Zeit in Bastelarbeiten investiert, kann man das System sogar “modern” wirken lassen. Auch schätze ich Verknüpfungen, H5P-Aktivität usw. usw. usw. Aber das alles passiert in einer “Kapsel”. So, wie eben vor Jahrzehnten bereits kreativer und guter Unterricht in einem geschlossenen Klassenzimmer ablief. Dass eine “offene Klassentür” deutlich besser ist, wird ja nun auch schon seit Jahrzehnten an etlichen Schulen gezeigt.

Fachübergreifend oder offen oder vernetzt – das alles sind “alte” Hüte. Aber inzwischen ist der Aspekt der “Vernetzung” (und des flexiblen Austausches in andere Systeme) zentral geworden. Und hier hat Moodle ganz deutliche Schwächen. Mir kommt es so vor, dass die Teilnehmer:innen und Dozent:innen sehr viel Arbeit in etwas stecken, was die “Diffusion” durch die Wände der Kapsel niemals schaffen wird – und damit auch von anderen nicht wahrgenommen werden kann.

Jede(r) erfindet das Rad neu. Von daher bin ich nur bedingt mit der aktuellen Tendenz zufrieden, im Schulsystem so sehr auf Moodle zu setzen. Gerade für die Lehramtsausbildung benötige ich offene Formate, die Produktionen von Schüler:innen deutlich besser abbilden und Unterricht besser vernetzen können.

Die o. g. Vorbehalte gelten übrigens für jedes LMS. Lehrkräfte im #twitterlehrerzimmer bestätigen durchaus die Einschätzung des Ausbilders und sehen dennoch in der Verbindung mit H5P Möglichkeiten, bisher unbekannte (Lern)Aktivitäten in Gang zu setzen. Im übrigen, so weitere Kommentare, sorge die Moodle-Community für fortlaufende Verbesserungen, auch in Richtung des 4K und/ oder Dagstuhl-Modells.

Kritik aus einem Studienseminar (Phase 2)

Jan Marenbach, ein Seminarausbilder (Phase 2) formuliert in seinem Blogbeitrag2 ebenfalls Vorbehalte zu dieser Transformation digitaler Didaktik, hier am Beispiel der HPI Cloud:

Das LMS fokussiert in seiner Architektur das klassische Hochladen von Präsentationsdateien, Dokumenten oder Tabellen. (…)  Die sparsam gestaltete Benutzeroberfläche, in der Visualisierungen etwa durch eine Linkvorschau nicht möglich sind, erlaubt nur geführtes oder zielgerichtetes Navigieren — intuitives Suchen und Stöbern funktioniert kaum. Das hat Folgen für den Workflow: Es liegt mehr Verantwortung bei den “Erstellern”, Wege vorzugeben. (…) Die Vorteile, die sich aus der Verwendung von BigBlueButton als Oberfläche für Videokonferenzen, aus einem Chattool sowie aus Kalender- und Office-Applikationen ergeben, werden aufgehoben durch eine geschlossene Struktur, die ein selbstbestimmtes Navigieren im Internet verhindern soll. (…) Ich habe daher die Sorge, dass die Entwicklungen der letzten Wochen mit zunehmender digitaler Vernetzung und Kollaboration der Kolleg*innen am Studienseminar untereinander mit Einführung der Schulcloud einen Rückschritt erleben werden: Wir ziehen uns zurück in die abgeschlossenen Räume unserer Kurse und “schließen die Tür”.

Jan Marenbach verbindet seine mediendidaktische Analyse mit seinem, eher auf Kollaboration ausgerichteten didaktischen Verständnis:

Ich bin gewohnt, den Austausch mit den Lehramtskandidat*innen sowie den kollegialen Austausch über Padlet zu gestalten: Inhalte werden dort kuratiert und laden über die Linkvorschau zum Stöbern ein, Konzepte werden über offene Dokumente zugänglich gemacht und kollaborativ weiterentwickelt bzw. Dokumentation zum Kommentieren veröffentlicht. Durch neue Verlinkungen von Blogs, Padlets, cloudbasierten Präsentationen und weiteren Materialsammlungen bleibt das Padlet “lebendig”.

Marenbach ist verantwortlich für eine Vorbereitung der Lehrkräfte auf deren Job in der Schule. Bereitet sein Ansatz wirklich auf das Lernsystem Schule vor? Oder wird nicht vielmehr etwas vermittelt, was sich auf Seminarebene ganz gut umsetzen lässt, nicht jedoch über alle Klassen hinweg im System Schule? Ist es nicht mit Blick auf Letzteres wünschenswert, beides vorzufinden: Ein Classroom- Management unterstützendes LMS, gekoppelt mit Kollaborationstools, die das didaktische Spektrum erweitern helfen? 

 

Ich will es dabei bewenden lassen und die inhaltliche Diskussion nicht weiter befeuern. Die ist im Gange und wird die eine oder andere wünschenswerte didaktische Ergänzung hervorbringen. Erste Anregungen dazu habe ich im Prolog meines Beitrags Digitale Didaktik – Blaupausen beschrieben. Die Transformation wird sich nicht leicht bewerkstelligen lassen, denn neben den vielen Lehrkräften, die zurzeit die ersten Schritte gehen, gibt es eine Reihe von medienaffinen Lehrkräften, die mit den Vorschlägen Deeper Learning, E-Portfolio, Maker, Agiles Lernen (Scrum, Kanban) etwas anzufangen wissen. Es wird also auf eine kluge und professionelle Moderation ankommen (siehe unten, 2. Empfehlung).

Ich halte den Weg, den wir 1996 bei Schulen ans Netz e. V. mit lo-net begonnen haben, noch immer für den richtigen Einstieg in das Thema. Auch nach mehr als 20 Jahren. Unsere Prämisse war seinerzeit: Lass’ uns auf die aktuelle Unterrichtssituation schauen und lass’ uns den Lehrkräften einen Einstieg eröffnen, der eine Transformation des eigenen (analogen) Lernszenarios nach Digitalien erleichtert. Die Evaluation eines Landesinstituts hat das für bremische Schulen bestätigt. Dazu im nächsten Abschnitt, genauer 3. Empfehlung, mehr.

Ergänzende Informationen

Empfehlungen

1. Empfehlung: Regionales (Schul)Netzwerk bilden

Die Bertelsmann-Stiftung hat bereits in den 90er Jahren auf eine Netzwerkarbeit unter Schulen gesetzt. Seinerzeit überregional (Netzwerk innovative Schulen), nun – vor allem in NRW – regional. 2017 wurde in der Region Gütersloh das Projekt Schule und digitale Bildung aus der Taufe gehoben.3

Übergeordnetes Ziel des Projekts ist es, in den fünf Projektjahren bis 2022 ein Unterstützungsangebot für die 114 Schulen und ihre 18 Träger im Kreisgebiet Gütersloh aufzubauen, damit sie einerseits die Qualität des Unterrichts und der schulischen Arbeit verbessern und die Teilhabe der Kinder und Jugendlichen in einer zunehmend digital geprägten Lebens- und Arbeitswelt gewährleisten können. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts gemeinsam mit den Schulen, den Schulträgern, der Schulaufsicht, dem Bildungsbüro für den Kreis Gütersloh, den Medienberatern und dem Kompetenzteam des Kreises sowie vielen externen Beraterinnen und Beratern zusammen. (…)

 

Das Projekt „Schule und digitale Bildung“ unterstützt Schulen dabei, zeitgemäßes Lernen zu ermöglichen – auch durch den Einsatz digitaler Medien. Es geht um eine Erweiterung der Kompetenzen, des Methodenrepertoires und der didaktischen Möglichkeiten von Lehrkräften sowie die Etablierung einer Lernkultur, die stärker auf individualisiertes Lernen und individuelle Förderung sowie an den aktuellen Anforderungen der Gesellschaft ausgerichtet ist. Diese Veränderungen hinsichtlich der Integration digitaler Medien in das Schul- und Unterrichtsleben erfordern abgestimmte Planungen der Schulen (Medienkonzept) mit ihrem Träger (Medienentwicklungsplanung), sowie bedarfsgerechte Qualifizierungen und Unterstützungsangebote. Deshalb unterstützt das Projekt die Verantwortlichen aus den Schulen und ihre Träger dabei, sich über zeitgemäßes Lernen und eine pädagogisch begründete, zukunftsfähige Ausstattung zu verständigen und sie in ihre schuleigenen Konzepte zu implementieren. (…)

 

Für die Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern und die zu gestaltende Unterrichtspraxis stellt die Digitalisierung eine große Chance dar. Das Projekt unterstützt Lehrkräfte und Schulleitungen, die Chancen und Potenziale der Digitalisierung zu erproben und zu nutzen, mit dem Ziel ihre Schul- und Unterrichtsqualität zukunftsorientiert weiterzuentwickeln. Eine zentrale Funktion nimmt hierbei die Medienkonzepte der Schulen ein. In diesen werden sowohl die unterrichtlichen Veränderungen, die sich durch den Einsatz neuer Medien ergeben, als auch die spezifischen Schritte der Schulentwicklung beschrieben. Damit erhalten die Medienkonzepte für alle am Schulleben Beteiligte einen handlungsleitenden Charakter. Entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen und bedarfsorientierte Angebote des Projektes unterstützen Schulleitungen, Lehrkräfte und Schulträger dabei ihre eng abgestimmten Entwicklungen zu planen und umzusetzen.

Die Schulvertretungen tauschen sich regelmäßig aus, erfahren so von erfolgreichen pädagogischen Ideen und Umsetzungen. Im Netzwerk der 114 Schulen organisierte Fortbildungen werden anschließend lokal in den einzelnen Schulen, in den Fachschaften weitergegeben. So multipliziert sich Wissen ohne größeren Stundenausfall. Lediglich die Freistellung der Lehrkräfte für die regionalen Treffen, für die Runden Tische hat die Schulleitung sicherzustellen.

2. Empfehlung: Meinungsbild in der Schulgemeinde einholen

Kluge und professionelle Moderation ist nur möglich, wenn man über Anwendungswissen verfügt, um genau das zu vermeiden, was das Bild des Schweizer Pädagogen Beat Döbeli Honegger andeutet4:

Das Bundesministeriums Bildung, Wissenschaft und Forschung in Österreich hat eine Reihe von Fragebögen entwickeln lassen, die den Schulen eine Evaluation der Corona-Angebote ermöglichen helfen (vgl. etwa “Evaluation und Feedback zu Fernunterricht” des Bundesministeriums Bildung, Wissenschaft und Forschung, Österreich). Die Fragebögen sind in Kooperation mit IQESonline.net entstanden. Der Geschäftsführer bietet einen kostenfreien 4-wöchigen IQES-Probezugang an, um die IQES-Mediathek zum Lernen mit digitalen Medien kennenlernen sowie webbasierte Befragungen zum Fernunterricht durchführen zu können und schreibt dazu: …bitte vermerken Sie beim 3. Schritt „Konto“ im Feld „Ihre Mitteilungen“: „vierwöchiger kostenloser Probe-Account“.

Ich kann aus eigener Erfahrung den kostenpflichtigen Anbieter empfehlen: Man bekommt qualifizierte Unterstützung, z. B. bei ergänzenden, eigenen Fragen zum bestehenden Pool. Auswertungstools zeigen das Ergebnis in verschiedenen Repräsentationen an (Tortendiagramme, Tabellen, …). Weitere Vorteile sind die Vernetzung der im System befindlichen Schulen, Ideen und Strategien zur Schulentwicklung und eine mit vielen Materialien ausgestattete digitale Bibliothek.

 

3. Empfehlung: Erfahrungswerte aus anderen Kommunen nutzen

Noch ist nicht überall die Entscheidung für ein LMS gefallen. Auf Schulträgerebene empfiehlt sich eine Vernetzung von Schulen. Das Landesinstitut für Schule Bremen (LiS) hat für seine Schulen einen sehr professionellen Weg gewählt: Von der Entwicklung eines Pflichtenhefts über die Analyse vor Ort in Schulen, die in Frage kommende Systemlösungen im Einsatz hatten, über die Auswertung und abschließende Kriteriengewichtung zur Ausschreibung.5

Evaluationssetting

Der Schulträger Bremens hat 2010 begonnen darüber nachzudenken, wie Schulen mit einer digitalen Plattform unterstützt werden können. Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits eine Reihe von Schulen, die aus eigenem Antrieb das eine oder andere LMS eingesetzt haben. Das Medienzentrum wollte sich diese Erfahrungen zu nutze machen und hat einen Leitfaden entwickelt. Leitfragen bei den geplanten Interviews mit den unterschiedliche Plattformen nutzende Schulen waren:

  1. Welche Ziele haben Sie sich für den Einsatz der Lernplattform gesetzt? Welche Ziele wurden erreicht, welche nicht?
  2. Welche Erfahrungen haben Sie um Umgang mit der Lernplattform gemacht (Probleme, Vorteile)? Präsentieren Sie Ihre Ergebnisse mithilfe von drei konkreten Beispielen.
  3. Welche Wünsche haben Sie? Welche Anforderungen stellen Sie an eine Lernplattform?
  4. Welche Möglichkeiten zur Unterrichts- und Schulentwicklung nutzen die Schulen, wenn ihnen eine Lernplattform zur Verfügung steht?
  5. Welche hemmenden und fördernden Faktoren lassen sich dabei erkennen?
  6. Welche Unterstützung benötigen Schulen und Lehrkräfte bei der Etablierung dieses neuen Werkzeugs, welche Ressourcen müssen bereitgestellt werden? 
Ergebnisse
  • Die Schulen haben eine Vorstellung davon, was mit einer Lernplattform erreicht werden soll. Sie sind in der Regel nicht verschriftlicht und lassen sich demzufolge auch nicht evaluieren. Damit ist eine Prozesssteuerung erschwert.
  • Sind organisatorische- technische Voraussetzungen nicht vollständig erfüllt, scheitert der Einsatz der Plattform für die ganze Schule.
  • Der Funktionsbereich Dateimanagement wurde an allen Schulen genutzt und bildet den Einstieg bei der Nutzung der Plattform in doppelter Hinsicht:
    • Schulen, in denen die verfügbare Lernplattform von der Schulleitung als Werkzeug zur Schulentwicklung genutzt wird, “locken” die weniger IT-affinen Kolleginnen und Kollegen auf die Plattform, indem (nur) Dokumente zentral verfügbar gemacht werden, die so aktuell, vollständig und übersichtlich auf keinem anderen Weg zugänglich sind.
    • Lehrkräfte, die mit der verfügbaren Plattform im eigenen Unterricht arbeiten, stellen dort stets auch Dokumente für ihre Schülerinnen und Schüler ein. Oft werden (später) auch weitere Funktionalitäten genutzt.
  • Die aktiv beteiligten Schulen erkennen nach kurzer Zeit das erhebliche Potenzial, das dieses Werkzeug für die Entwicklung der eigenen Schule spielen kann
  • Die unterschiedlichen Ansätze, die an den beteiligten Schulen mit der Lernplattform verfolgt werden, spiegeln die unterschiedlichen Profile der verschiedenen Schulen wider.
  • Etliche Schulen, die gar nicht am Projekt beteiligt waren, haben davon erfahren und zeigten großes Interesse an den Ergebnissen. In den meisten Fällen stellten sie eine schulinterne Entscheidung solange zurück, bis die Bildungsbehörde Konsequenzen aus der Studie gezogen hat.

Hier einige Dokumente, die seinerzeit (2010) veröffentlicht wurden:

Was erhoffen bzw. befürchten wir vom Unterrichten mit Lernplattformen, Kriterienliste-1, Kriterienliste-2 

Empfehlungen der Evaluationsgruppe
  1. Liegt der Schwerpunkt auf Unterrichtsentwicklung, dann mit der Einführung der Lernplattform in der Regel in Jahrgangsteams beginnen, die mit ihren Klassen hochwachsen und an die folgenden Jahrgänge Strukturen, Inhalte und Erfahrungen weiter geben
  2. Liegt der Schwerpunkt auf Schulentwicklung, dann Voraussetzungen schaffen, dass die Lehrkräfte die Plattform in kurzer Zeit nutzen können und als schulinternes Werkzeug akzeptiert wird. Dieser Ansatz kann von der Schulleitung gefördert werden, wenn auf bestimmte Informationen nur über die Plattform zugegriffen werden kann (z. B. Belegung von Ressourcen)
  3. Neben halbtägigen Einführungsveranstaltungen (Fortbildungen) ist über die gesamte Schulzeit Unterstützung zu geben. Vor allem die Vernetzung der Schulen mit Meinungsaustausch und Distribution von Materialien ist sicherzustellen.

Der Wetteraukreis ist einen ähnlichen Weg gegangen. Sie hat drei in Frage kommende Lösungen einem aus Lehrkräften und Schulleitungen der Region besetzten Gremium vorstellen lassen. Dabei kam dann die Landeslösung (Moodle, Wiesel) trotz aller Kenntnis der Vorteile (siehe die folgende Empfehlung) nicht zum Zuge. Gründe waren vor allem Skalierbarkeit, vom Anbieter bereitgestellter Service und Support, Fortbildungsmaßnahmen und Weiterentwicklung durch das ortsansässige Medienzentrum. Medieneinbindung (FWU) und Distribution dieser Medien mit einer intelligenten Proxy- Lösung kamen später hinzu.

 

4. Empfehlung: Nutzung landeseigener Angebote

Man ist gut beraten, Landes- und/ oder Schulträgerlösungen zu nutzen, denn (z. B.) in Baden Württemberg ist seit jeher das Angebot der Lernplattform Moodle eng mit der Landesakademie und den pädagogischen Fachseminaren abgestimmt und richtet sich nach den Vorgaben der aktuellen Rahmendienstvereinbarung. Die Updates werden auf die Einhaltung des Datenschutzes hin überprüft und, falls nötig, wieder gemäß den datenschutzrechtlichen Vorgaben angepasst. Eine pädagogische Nutzung der in der Plattform zur Verfügung gestellten Module wird auf dem Lehrerfortbildungsserver erläutert. Bayern mit mebis, Bremen mit its learning und Sachsen mit lernsax gehen vergleichbare Wege.

Noch aus einem anderen Grund sind Landesangebote einzubeziehen: Die Erlasse zu Rahmensetzungen zur Medienkompetenzentwicklung werden vielfach mit Lehr-, Lernangeboten verknüpft. So bieten z. B. Landesinstitute Moodlekurse an, die man – sofern vorhanden –  in die eigene Schulinstanz importieren und verändern kann. Diesen Import bieten mittlerweile einige digitale Plattformen als Plugin und/ oder zusätzliche Softwareinstallation an. Das Problem ist sicher, dass man u. U. zwei Lernpfadangebote parallel laufen hat. Gerade in diesem Zusammenhang sollte eine Umfrage unter Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler Sicherheit geben, ob das gewünscht ist (vgl. 2. Empfehlung).

 

5. Empfehlung: Datenschutzbelange beachten

Wird – leider, leider – in den Twitterthreads/ Webinaren immer wieder negativ konnotiert. Es führt aber kein Weg daran vorbei:

Eine Lernplattform kann in der Schule zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden. Dabei gibt es gemeinsame, mancherorts auch unterschiedliche Rahmenbedingungen, die es zu beachten gilt:

  • Bei dem Einsatz einer Lernplattform als didaktisch-methodisches Element zur Gestaltung von Lernen gibt es eine Vielfalt von Möglichkeiten wie Einsatz im Regelunterricht, im Förderunterricht, im Lernstudio, im Freizeitbereich oder für die Arbeit außerhalb der Schule. Neben den Daten der Lehrkräfte müssen hier auch die Daten von Schülerinnen und Schülern gespeichert werden. Notwendig werden dann Datenschutzerklärungen, Elterninformationen, Einwilligungserklärungen für die Verarbeitung von Daten im Unterricht und bei freiwilliger Nutzung der Plattform im außerunterrichtlichen Bereich.
  • Nutzt eine Schule das schuleigene System als Hilfsmittel zur Organisation schulinterner Abläufe (Protokollablagen, Vertretungspläne, Raumbuchungssystem, Forum mit E-Mail-Funktion etc.), müssen personenbezogene Daten von Lehrerinnen und Lehrern verarbeitet werden. Hier greifen dann neben Regelungen des Datenschutzgesetzes auch Regelungen des Landespersonalvertretungsgesetzes. Vereinbarungen mit Lehrkräften und Personalrat haben hier entscheidende Funktionen.
  • Wird die Homepage der Schule mit einem schuleigenen System gestaltet, dann sind auf dieser im Netz frei zugänglichen Seite z. B. die Eigentumsrechte von Bild, Ton und Texten nach den Regeln des Urheberrechts zu beachten.

Die Schulleitung …

  • … stellt gemäß Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) u. a. Rechtmäßigkeit und Richtigkeit der Datenverarbeitung, Transparenz, Zweckbindung, Integrität und Vertraulichkeit sicher. Dabei sind verschiedene Ebenen zu beachten (vgl. Bild).

 

  • … kommt der Informationspflicht über die jeweilige Datenverarbeitung bei einem Einsatz von Tools nach, durch allgemeine Hinweis-/Merkblätter oder durch eine Datenschutzerklärung in (leicht) verständlicher Sprache adressiert an die Schüler*innen, an die Eltern und die Lehrkräfte.
  • … stellt sicher, dass Einwilligung z.B. statt bei Veröffentlichung von Bildern, Arbeitsergebnissen und Vertretungspläne mit Namen auf der Homepage der Schule oder in sozialen Netzwerken vorliegen.

Schlussbemerkung

Verfolgt man die aktuellen Diskussionen in den Twitterblasen und Webinaren, dann wird hybrides Lernen unterschiedlich “gelebt”. Das kann niemanden verwundern. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen in den Schulen vor Ort. Auch in Zukunft wird es immer wieder Klagen über Verfügbarkeit (“System ist dauernd down”) und Usability (“Das versteht doch keiner. Und überhaupt …”) geben.

Meine Empfehlung für einen ersten Zugang:

  • Aufbau bzw. Entwicklung eines regionalen Netzwerks mit Schulen
  • Befragung in der Schulgemeinde durchführen
  • Entwicklung Pflichtenheft, entweder auf Schul- und/ oder regionaler Ebene. Dazu auf Kriterien verständigen, ggfs. das Medienzentrum mit ins Boot nehmen.

Das Pflichtenheft entsteht nach intensiven Diskussionen über Lehr- Lernarrangements, entweder in digital modifizierter Übernahme eines analogen Modells oder in Form eines digitalen Modells, vgl. Digitale Didaktik: Prolog. Mit einer abschließenden Vereinbarung gelingt im günstigsten Fall eine Verständigung auf digital gestützte Organisationstools (LMS), kollaborative Tools (z. B. Etherpad) oder Kombinationen aus beiden.

Es folgt der meist vom Schulträger vorzunehmende Prüfungs- und Evaluationsprozess. Neben den großen Anbietern (iServ, its learning, Webweaver, hpi cloud, schulmanager, …) sind Landeslösungen und kleine Lösungen (nextcloud) bei der Evaluation zu berücksichtigen. Zwei Medienberater aus NRW haben eine Marktanalyse vorgenommen und veröffentlicht. Eine Zertifizierung durch den Landesdatenschutzbeauftragten ist dringend zu empfehlen, damit sich die Schulgemeinde entsprechend geschützt sieht. Für manche Behörden ist das Pflicht.

Es folgt die Umsetzung vor Ort, der sog. Rollout. Stichworte sind:

  • Endgeräte an Lehrkräfte (sog. Dienstgeräte) und Schülerinnen und Schüler (Leihgeräte und/ oder Kauf via Bildungspakt, Finanzierungsmodelle)
  • Fortbildung, Fortbildung, Fortbildung
  • Support (1st, 2nd Level) durch Systemanbieter
  • Betreuung vor Ort und angemessene Entlastung (z. B. abgesichert durch ein Zeit- und Tätigkeitsprotokoll)

Eine Schülerinnen- und Schülergerechte und deren Individualität einbeziehende Umsetzung wird nur gelingen, wenn

neben der veränderten Infrastruktur (Lerninseln) eine Haltung der Lehrkräfte vorliegt, die sie daran glauben lässt,

  • dass Kinder lernen wollen,
  • dass ich als Lehrkraft Schülerinnen und Schüler erst einmal persönlich stabilisieren muss, um das Lernen zu ermöglichen
  • dass dazu eine Loslösung von inhaltlichem Fachbezug notwendig ist.

Daher legen wir als IGS Wert darauf Menschen und nicht Fächer zu unterrichten.

so der Schulleiter Thomas Ferber (Richtsberg Gesamtschule, Marburg) in dem bereits zu Beginn vorgestellten Film von Valerie Henschel 6.

Update, 08.11.2020: Konzept eines Mini LMS von Niklas Tervooren

 

 

Bildnachweis

Titelbild: @wikipedia,

Normenhierarchie: Dr. Jacek Lagoni aus Webinar „Datenschutz und Urheberrecht im virtuellen Klassenzimmer“, 7. April 2020

Videonachweis:

ZDFzoom, Ausschnitt 10:21 – 13:44)

 

Footnotes

  1. https://twitter.com/_DigitalWriter_/status/1251560549550350342
  2. https://medium.com/@janmarenbach/wir-haben-jetzt-ein-lms-hurra-b39cee4f146a
  3. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/in-vielfalt-besser-lernen/projektthemen/digitalisierung/schule-und-digitale-bildung
  4. https://pbs.twimg.com/media/EX_zQnDXsAIKNTC?format=png&name=small
  5. Michael Plehnert: Evaluation von Lernplattformen. LiS, Zentrum für Medien. Bremen. April 2013
  6. https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-schulen-im-corona-stress—lernen-aus-der-krise-100.html