Spätestens mit den Lockdowns und dem damit verbundenen Blended Learning (aka Hybrid Learning) taucht in den sozialen Medien immer wieder die Wortkombination Kultur der Digitalität auf. Felix Stalder war einer der ersten Kultur- und Medienwissenschaftler, der dazu publizierte. Fragt man ChatGPT nach „seinem“ Verständnis von Kultur der Digitalität, erhält man als Antwort

(…) Sie bezieht sich auf die vielfältigen kulturellen, sozialen und mentalen Veränderungen, die durch die fortschreitende Digitalisierung und den Einsatz digitaler Technologien in verschiedenen Lebensbereichen entstehen. Dieser Begriff umfasst eine breite Palette von Phänomenen, die mit der digitalen Transformation unserer Gesellschaft verbunden sind. Die Kultur der Digitalität betrifft nicht nur technologische Aspekte, sondern auch die Art und Weise, wie Menschen miteinander interagieren, Informationen konsumieren, Wissen teilen, ihre Identitäten ausdrücken und kulturelle Inhalte schaffen. Hier sind einige Schlüsselaspekte, die unter die Kultur der Digitalität fallen könnten:

  1. Digitale Kommunikation: Die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren, hat sich durch soziale Medien, Messaging-Apps und andere digitale Plattformen grundlegend verändert. Dies wirkt sich auf soziale Interaktionen, Beziehungen und den Austausch von Informationen aus.
  2. Digitale Identität: Die Digitalisierung beeinflusst die Konzeption und Darstellung von Identitäten. Menschen gestalten ihre Identitäten nicht nur offline, sondern auch online durch soziale Medienprofile, Blogs, und andere digitale Plattformen.
  3. Informationszugang und -verarbeitung: Durch das Internet haben Menschen Zugang zu einer enormen Menge an Informationen. Dies wirkt sich darauf aus, wie Wissen erworben, geteilt und verbreitet wird.
  4. Kulturelle Produktion und Konsum: Digitale Technologien ermöglichen es Menschen, kulturelle Inhalte wie Musik, Filme, Kunst und Literatur zu produzieren und zu konsumieren. Plattformen wie YouTube, Spotify, Netflix und digitale Kunstgalerien haben die Art und Weise, wie Kultur geschaffen und konsumiert wird, verändert.
  5. Digitalisierung in Bildung und Arbeit: Der Einsatz digitaler Technologien hat Auswirkungen auf Bildungseinrichtungen und Arbeitsplätze. E-Learning, Remote-Arbeit und digitale Kollaborationstools sind Beispiele für Veränderungen in diesen Bereichen.

Die Kultur der Digitalität ist dynamisch und ständig im Wandel. Sie reflektiert die Wechselwirkung zwischen Menschen und digitalen Technologien und prägt somit maßgeblich unsere moderne Gesellschaft.

Schule in der digitalen Welt

Diese Überschrift, die auch meine Praxisbände begleitet, stammt in leichter Abwandlung aus den Überlegungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Medienkompetenzrahmen. In den Bildungskommissionen der Länder sind – wie in föderalen Strukturen üblich – zahlreiche Umsetzungen (ab. S. 24) entstanden, die für unterschiedliche Ansätze stehen. Allen gemeinsam ist der Anspruch, Schlussfolgerungen für die Arbeit vor Ort zu ziehen. Zahlreiche Veröffentlichungen verweisen auf folgende Zusammenhänge:

VUCA - Welt: volatil, ungewiss, komplex und mehrdeutig

Olaf-Axel Burow leitet seine Vorträge in der Regel mit diesem Bild ein [1]ehemalige Quelle

und führt aus, dass in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung sich die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen zusehends verändern, während das Organisationsmodell von Schule und schulischem Lernen seit etwa 200 Jahren – zumindest in seiner Grundstruktur – gleich geblieben ist.

Unser Bildungssystem wurde für eine andere Gesellschaft entwickelt. Fließband, für alle zur gleichen Zeit das Gleiche, schwerpunktmäßig nach Fächern sortiert. Im Zeitalter mobilen Lernens, in dem Information und Wissen zeit- und ortsunabhängig vorhanden sind, verliert dieses Schulmodell aber seine Daseinsberechtigung. Man braucht völlig andere Anforderungen an Lehren und Lernen, um die “Generation Selfie” für die Zukunft fit zu machen. Wissenvermittlung reicht nicht mehr.

so Burow in einem Zeitungsbeitrag. Und weiter:

Er skizzierte in seinem Buch sieben Trends, “die die Schule revolutionieren”. Und dazu gehöre zuallererst, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. “Wir müssen herausfinden, was Maschinen besser können und was Menschen. “Zweitens gehe es um die Veränderung der Lehrerrolle (hin zum Lernberater oder Coach). Dazu bedürfe es auch alternativer Raumgestaltungen (“Lernlandschaften”). Weitere Punkte seien Vernetzung, Gesundheitsorientierung, Demokratisierung und Glücksorientierung. “Die Schule der Zukunft ist eine Kulturschule, die analog und digital kreativ verbindet” und die vor allem Lebenskompetenz vermittelt. Denn, so Burow: “Schule ist mehr als Unterricht.” [2]https://www.donaukurier.de/nachrichten/kultur/Schule-ist-mehr-als-Unterricht;art598,4239658

 

Dagstuhl - Erklärung

Unter diesem Begriff haben Medienwissenschaftler und Informatiker im Rahmen einer Veranstaltung versucht, „Digitale Bildung“ zu definieren. Die Erklärung weist drei Perspektiven aus[3]http://blog.doebe.li/Blog/DagstuhlDreieck:

Technologische Perspektive: Wie funktioniert das?
Die technologische Perspektive hinterfragt und bewertet die Funktionsweise der Systeme, die die digitale vernetzte Welt ausmachen. Sie gibt Antworten auf die Frage nach den Wirkprinzipien von Systemen, auf Fragen nach deren Erweiterungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Sie erklärt verschiedene Phänomene mit immer wiederkehrenden Konzepten. Dabei werden grundlegende Problemlösestrategien und -methoden vermittelt. Sie schafft damit die technologischen Grundlagen und Hintergrundwissen für die Mitgestaltung der digitalen vernetzten Welt.

Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive: Wie wirkt das?
Die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive untersucht die Wechselwirkungen der digitalen vernetzten Welt mit Individuen und der Gesellschaft. Sie geht z. B. den Fragen nach: Wie wirken digitale Medien auf Individuen und die Gesellschaft, wie kann man Informationen beurteilen, eigene Standpunkte entwickeln und Einfluss auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen nehmen? Wie können Gesellschaft und Individuen digitale Kultur und Kultivierung mitgestalten?

Anwendungsbezogene Perspektive: Wie nutze ich das?
Die anwendungsbezogene Perspektive fokussiert auf die zielgerichtete Auswahl von Systemen und deren effektive und effiziente Nutzung zur Umsetzung individueller und kooperativer Vorhaben. Sie geht Fragen nach, wie und warum Werkzeuge ausgewählt und genutzt werden. Dies erfordert eine Orientierung hinsichtlich der vorhandenen Möglichkeiten und Funktionsumfänge gängiger Werkzeuge in der jeweiligen Anwendungsdomäne und deren sichere Handhabung.

 

4 K - Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation

Das Modell wurde von einer US-amerikanischen Non-Profit-Organisation entwickelt, in der sich Wirtschaftsvertreter, Bildungsfachleute und am Gesetzgebungsprozess Beteiligte für die Bildung in einem digitalen Kontext einsetzen. Die Organisation hat ein „Framework for 21st Century Learning“ veröffentlicht, welches das 4K-Modell beinhaltet und davon ausgeht, dass diese 4K in Arbeitsumgebungen des 21. Jahrhunderts besonderes Gewicht erhalten. Die Orientierung an den 4K wurde in den USA von vielen Schulen in ihre Leitbilder übernommen, weil diese vier überfachlichen Kompetenzen eine Zielformulierung unabhängig von fachbezogenem Lernen ermöglichen.

In Deutschland ist das Modell durch den PISA-Koordinator Andreas Schleicher bekannt gemacht geworden. Auch er argumentiert von beruflichen Anforderungen aus, die klassische Unterrichtsfächer in den Hintergrund rücken ließen. Schleicher betont, der Umgang mit Wissen habe sich gewandelt: Inhalte würden nicht mehr gespeichert und dann von Lehrkräften an Lernende vermittelt. Vielmehr flössen sie, meint Schleicher, in Strömen unablässiger Kommunikation und Kollaboration. Die Bildungsforscherin Lisa Rosa teilt diese Sicht und benennt drei Argumente, warum das 4K-Modell zum Orientierungspunkt für die Didaktik werden sollte:

  • Immer mehr Arbeiten werden von Maschinen übernommen.
  • Jede neue Arbeit verlangt mehr komplexes Denken, situierte selbstverantwortliche Entscheidungen und Beziehungsfähigkeit.
  • Die zu lösenden gesellschaftlichen Probleme sind so komplex, dass sie nur noch mit kollektiver Intelligenz bearbeitbar sind.

Rosa bettet die 4K in eine umfassende Modellierung des Lernens ein und weist so darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine Lernmethode handelt. Die 4K könnten nicht getrennt werden, sondern beziehen sich stets aufeinander: Es ist keine wirksame Kommunikation ohne Kreativität, Kollaboration und kritisches Denken möglich [4]https://de.wikipedia.org/wiki/4K-Modell_des_Lernens.

Buchrezension

Gerhard Brandhofer und Christian Wiesner setzen sich als Herausgeber des gleichnamigen Buches mit Überlegungen zu einer wirkmächtigen Mediendidaktik für eine zukunftsorientierte Pädagogik auseinander. Ungewöhnlich: Dazu haben sie den beitragenden Autorinnen und Autoren, vornehmlich aus der Hochschullandschaft, zunächst ein „grundlegenedes Modell“ zur Diskussion gestellt. Dieses Modell stellt sich der „Tatsache, dass der digitale Wandel in unserer Gesellschaft unumkehrbar ist (und) unterstreicht die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit digitalen Technologien in der Schule“. Sie kritisieren, dass bei der Bewertung des Einsatzes digitaler Medien häufig ausschließlich das Argument des Lernerfolgs herangezogen werde. Dies werde den Umbrüchen, die sich aus dem Leitmedienwandel ergeben, nicht gerecht, fordern Kriterien für eine wirkungsvolle Mediendidaktik und fragen, wie diese legitimiert werden kann.
Dieser Sammelband, so der Anspruch soll „ein Beitrag dazu sein, Lehrkräfte und Pädagog*innen bei der Integration digitaler Medien in den Unterricht zu unterstützen und neue Chancen für eine zukunftsorientierte Pädagogik zu nutzen. Wir wollen zur Reflexion bisheriger Ansätze anregen und neue Möglichkeiten aufzeigen, wie das Digitale zu einer besseren schulischen Bildung beitragen kann.“

Für mich ist der lernorientierte Ansatz in den folgenden vier Phänomenen des Lernens inspirierend:

  • Behavioristisches Lernen versucht, durch Aneignung, Übung und Vermittlung eine gewisse Sicherheit und Stabilität des Handelns zu gewährleisten und durch Verstärkung und Bekräftigung möglichst dauerhaftes, regelorientiertes Wissen zu fördern. Im Mittelpunkt stehen wiederholbare Lernergebnisse, erlerntes und überdauerndes Verhalten, Abbau von unerwünschtem Wissen und Verhalten sowie vorhersagbares Lernen durch übende Aneignung und das Lernergebnis als Lernleistung. Lernen wird verstanden als Instruktion und Novation.
  • Kognitivistisch-analytisches Lernen stellt die Bedeutungsgenerierung und Begriffsfindung sowie die kognitive (Informations-)Verarbeitung, die Qualität des Wissenstransfers, die reflexive Klärung und Planung und die (kognitivistische) Motivation und das Vorwissen in den Mittelpunkt, so dass die Problemlösefähigkeit und damit aus der Informationsverarbeitung die Lerneffizienz, die Lerneffektivität und damit der Lernerfolg das Wesentliche darstellen. Lernen wird vom fragenden Lehren und den möglichen intellektuellen Leistungen des Individuums her verstanden.
  • Kognitivistisch-analytisches Lernen rückt die Bedeutungsgenerierung und Begriffsfindung wie auch die kognitive (Informations-)Verarbeitung, die Qualität des Transfers von Wissen, die reflexive Klärung sowie das Planen und die (kognitivistische) Motivation und das Vorwissen in den Mittelpunkt, wodurch das Lösen- Können von Problemen und so aus der Informationsverarbeitung heraus die Lerneffizienz, -effektivität und somit der Lernerfolg das Wesentliche darstellen. Lernen wird vom fragenden Lehren und den möglichen intellektuellen Leistungen her aus dem Individuum-Sein verstanden. Ein anderer und umfassenderer Ansatz stellt das
  • das erfahrungsorientierte Lernen dar, das immer ein resonantes, prosoziales und gemeinsames Lernen und lernseitiges Miteinander-Sein bedeutet und nur auf der Basis von Vorerfahrungen erfolgen kann. Lernen bedeutet hier ein Heranführen an sich selbst, eine Förderung der aktiven Wahrnehmungstätigkeit und die Hinzunahme der fühlenden Innensicht im Sinne des menschlichen Lernens von Geburt an. Beim
  • transformativen Lernen oder Umlernen und Umwenden geht es auf einer darunter liegenden Ebene um die jeweilige Veränderung der eher dauerhaften, konservierenden Muster des instrumentellen, kognitiven, konstruktivistischen und erfahrungsorientierten Lernens als Gemengelage und jeweilige Lernkultur.

Den Autorinnen und Autoren wurde im Vorfeld ein einführender Artikel zur Mediendidaktik zur Verfügung gestellt, der als Ausgangspunkt für die eigenen Beiträge diente:[5]https://klinkhardt.de/verlagsprogramm/2603.html , S. 7/8

  • Helmut Niegemann zeigt auf, welche Technologien bereits heute im Unterricht eingesetzt werden können und welche Potenziale diese bieten.
  • Annette Schulze sowie Marco Kalz beleuchten das Thema Mobiles Lernen im Zeitalter der Mobilität und Postdigitalität.
  • Josef Buchner zeigt auf, wie Augmented und Virtual Reality das Lernen beeinflussen können.
  • Karin Tengler untersucht die Relevanz programmierbarer Roboter im Kontext informatischer Bildung in der Primarstufe.
  • Elke Höfler stellt verschiedene Methoden vor und ordnet diese dem SAMR-Modell zu.
  • Uta Hauck-Thum beschäftigt sich mit digitalen Medien und der Gestaltung selbstbestimmter Lernprozesse.
  • Sonja Gabriel beschäftigt sich mit Digital Game-Based Learning und Gamification.
  • Bernhard Standl betrachtet das Thema Computational Thinking näher.
  • Fares Kayali, Elisabeth Anna Guenther und Barbara Göbl beschäftigten sich mit der Frage, wie digitale Medien im Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden können.
  • Martin Ebner beschäftigt sich mit Learning-Analytics-Applikationen als Werkzeug für Lernende und Lehrende.
  • Christine Trültzsch-Wijnen beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der Medienpädagogik, insbesondere auf Rezeptions- und Nutzungsverhalten, Mediensozialisation, Medienkompetenz und internationale vergleichende Medienpädagogik ein.
  • Peter Groißböck beschäftigt sich mit theoretischen Grundlagen und Modellen der Schulentwicklung.
  • Michael Kerres beschäftigt sich schließlich mit dem Forschungsansatz der Educational Design Research (EDR).

Durch die sehr unterschiedlichen Schwerpunkte der Bildungsforscher*innen ist ein facettenreiches und anregendes Buch entstanden, das ich an dieser Stelle gerne empfehlen möchte. Durch die Beiträge werden Lehrkräfte und Pädagog*innen bei der Integration digitaler Medien in den Unterricht unterstützt und erhalten Impulse für eine zukunftsorientierte Pädagogik. Der Sammelband lädt dazu ein, bisherige Ansätze zu reflektieren und zeigt neue Möglichkeiten auf, wie das Digitale zu einer besseren schulischen Bildung beitragen kann.

Schlussbemerkung

Die Anpassung des Bildungssystems an die digitale Kultur stellt sicher, dass Schülerinnen und Schüler die für die moderne Welt erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse entwickeln können. Der Sammelband zeigt eine Vielzahl möglicher Ansätze auf: Von der Förderung von Kreativität und kritischem Denken bis hin zu flexiblen Lernumgebungen in Kombination mit interdisziplinären Ansätzen. Darüber hinaus werden Computerkenntnisse und Programmierfähigkeiten immer wichtiger. Das Bildungssystem muss Möglichkeiten bieten, Schülerinnen und Schüler mit den Grundkonzepten der Informatik und des Programmierens vertraut zu machen.

Die Anpassung des Bildungssystems erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl Lehrpläne als auch Lehrmethoden umfasst. Die Bildungseinrichtungen müssen sich flexibel und kontinuierlich an die sich verändernden Anforderungen der digitalen Kultur anpassen.

 

… Stay tuned …

 

Bildnachweis: Ausschnitt aus Buchcover