Unterrichtsentwicklung
Nicht ideologische Konzepte (Paradigma) und nicht die Merkmallisten guten Unterrichts machen guten Unterricht, sondern die alltägliche harte professionelle Arbeit am Lerner und mit dem Lerner an der Sache in einer Lerngruppe, in der mit Anstrengung und Konsequenz eine Lernkultur aufgebaut wurde. [1]http://www.lehr-lern-modell.de/guterunterricht/
Prof. Leisen bezieht sich auf seinen Rückblick der letzten 40 Jahre:[2]ebda.
- Vor vierzig Jahren war das der lernzielorientierte Unterricht,
- vor dreißig Jahren der handlungsorientierte Unterricht und der Projektunterricht,
- vor zwanzig Jahren die Wochenplanarbeit, die Freiarbeit und der fächerübergreifende Unterricht,
- vor zehn Jahren der kompetenzorientierte Unterricht
- und heute der individualisierte Unterricht
- und morgen …
… die Ermöglichung eines individualisierten Unterrichts durch den adäquaten Einsatz Neuer Medien? Was jedoch heißt adäquat?
Das kann eine Lehrkraft zunächst nur für sich selbst beantworten. Dabei erweist sich das SAMR-Modell als hilfreiches Instrument. Es kann als Folie für eine erste Einordnung eines (zunächst) individuell gesteuerten Einsatzes Neuer Medien im Unterricht genutzt werden. Anschließend hilft das Modell, um mit anderen Lehrkräften – z. B. auf (Fach)Konferenzebene – ins Gespräch zu kommen bzw. sich zu verständigen.
Durchgreifender ist gleichwohl die Frage nach geeigneten Lehr-Lernkonzept in Nutzung digitaler Werkzeuge, die nun vorgestellt werden sollen.
- Ich selbst habe mich lange Zeit am Prozessmodell orientiert. Es hat mittlerweile Eingang in sämtlichen Leitfäden zu den Fachkerncurricula des Landes Hessen gefunden.
- Ein anderer Weg ist das an der Bloomschen Taxonomie orientierte Constructive Alignment Konzept. Bloom hat mit seiner lernzielorientierten Taxonomie den Anfang gemacht, dessen Überlegungen – auch mit Blick auf die digitale Welt – mehrere Revisionen erfahren hat.
- Mit Deeper Learning wird ein weiteres Unterrichtsmodell vorgestellt, das sich noch in den “Kinderschuhen” befindet, aber ein hohes (pädagogisches) Potential aufweist.
Wie könnte ein mediengestützter Unterricht aussehen, den möglichst alle Schülerinnen und Schüler gern und erfolgreich besuchen – ein Unterricht, der wesentlich dazu beiträgt, Kompetenzen zu erwerben, um in der Schule, im privaten und beruflichen Leben Herausforderungen verantwortungsvoll zu meistern und der zur Mitgestaltung von Gemeinschaft beitragen kann?
Das in Hessen erfolgreich eingeführte und in den Kerncurricula verankerte Prozessmodell zeigt einen möglichen Weg auf. Der Lehr-Lernzyklus mit seinen fünf Handlungsfeldern zielt darauf ab, Lehrenden und Lernenden bezogen auf einen an Kompetenzen orientierten Unterricht ein Handlungsgerüst zur Verfügung zu stellen. Neue Medien werden Lerngruppen abhängig hinzugezogen, wenn sie dem individuellen Lernprozess dienlich sind.
Viele Fachschaften denken mit Blick auf temporäre Schulschließungen darüber nach, wie ein Unterricht auch zu Hause stattfinden kann. Tools werden ausprobiert. Videokonferenzen werden abgehalten, Kultusministerien denken über die Einführung von Clouds und Learningmanagementsystemen (LMS) nach. Nur: Wie kann digital gestützter Unterricht und damit hybrides Lernen gelingen? Wie gestaltet sich ein didaktischer Plan, der niederschwellig genug ist, um alle Lehrkräfte mit ins Boot zu nehmen, auch und gerade diejenigen, die beginnen, sich die digitalen Wege zu erschließen?
Ich will das Thema aufgreifen und zwei Ideen zur Diskussion stellen. Sie sind in der vorgestellten Form im Sinne einer hybriden Umsetzung (noch) nicht erprobt. Gleichwohl basiert er in großen Teilen auf langjährige Erfahrungen im Einsatz digitaler Medien im (Präsenz)Unterricht.
Deeper Learning beschreibt eine Pädagogik, in der Lernende sich tief greifend mit Wissen auseinandersetzen und selbst Wissen generieren, indem sie es sowohl über instruktiv gesteuerte Prozesse der Aneignung als auch über selbstregulierte Prozesse der Ko-Konstruktion und Ko-Kreation verarbeiten.
Deeper Learning kann als eine “4K Skill-Implementierung” aufgefasst werden, einer Aneignung von Wissen einerseits und der vier Kompetenzen Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken und Kreativität andererseits. Das im Folgenden vorgestellte Unterrichtsmodell ist im deutschen Sprachraum vergleichbar mit dem nur in sehr wenigen Schulen angebotenem Projektunterricht.
Das vielversprechende Unterrichtsmodell versteht sich als Prozess von Instruktion, Ko- Konstruktion und Präsentation und ist im “normalen” Stundenplansetting, 90 Minuten Blöcke vorausgesetzt, durchführbar.
„Constructive Alignment“ ist ein pädagogisches Konzept, das vom Bildungsforscher John Biggs entwickelt wurde. Es bezieht sich auf die bewusste Ausrichtung von Lehr- und Lernaktivitäten, um sicherzustellen, dass die Lernziele mit den Lehrmethoden und der Bewertung in Einklang stehen. Das Ziel ist es, eine kohärente und effektive Lernumgebung zu schaffen, in der die Lernenden aktiv in den Lernprozess einbezogen werden.
Auch wenn das Konzept aus der Hochschuldidaktik stammt, bin ich davon überzeugt, dass man dieses Modell auch im schulischen Umfeld einsetzen kann. In den USA hat eine Schule sich dieses Modell in einer Form zunutze gemacht, die vermutlich viele Lehrende irritieren wird. Gleichwohl: Bei den Schülerinnen und Schülern kommt dieses Angebot sehr gut an, vor allem weil sie sich täglich(!!) für ihr bevorzugtes Vermittlungsinstrument (App, Buch, Partnerarbeit, Coaching durch Lehrkräfte) neu entscheiden können …wie ein Video der Bertelsmannstiftung zeigt…
SMART vs. FAST
Allen Varianten gemeinsam ist die Transparenz von Zielen, ganz so wie der Hessische Referenzrahmen Schulqualität das beschreibt:
Unabhängig vom zugrunde liegenden Lehr-Lernprozess stellt eine effiziente Klassenführung effektive Lernzeit sicher und ermöglicht somit eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. Die Lehrkräfte sorgen zudem für die Transparenz der Ziele, Inhalte und Leistungsanforderungen, sodass Schülerinnen und Schüler eine Orientierung erhalten.
Die Transparenz der Ziele lenkt die Aufmerksamkeit auf das Lernen. Das Prozessmodell, hybride Lernkonzepte und auch das Modell des Constructive Alignment erfordern ein prozessintegriertes Feedback. Sie gelingen umso besser, je klarer die Ziele im Vorfeld definiert wurden.
Bei Projekten (z. B. Deeper Learning (s.o.), THEO-LEA) und damit längerfristigen Prozessen ist auch eine klare Zielorientierung erforderlich. Dafür gibt es ein einprägsames Akronym:
Die SMART-Methode wird im Projektmanagement eingesetzt, um Klarheit in die Zielsetzung zu bekommen. Dabei meint:
- S pezifisch: Ziele nicht vage, sondern so konkret wie möglich formulieren
- M essbar: Ziele müssen messbar sein (Messbarkeitskriterien)
- A ktivierend: Ziele sollen Lust auf Umsetzung machen
- R ealistisch: Die Ziele (Aufgaben) müssen innerhalb des gesetzten Zeitrahmens umsetzbar sein
- T erminiert: Die Ziele (Aufgaben) sind mit einem Zeitrahmen auszustatten: Was ist bis wann zu erledigen?
Forscherinnen und Forscher des MIT haben in Frage gestellt, ob SMART-Ziele tatsächlich funktionieren.[3]https://sloanreview.mit.edu/article/with-goals-fast-beats-smart/?gclid=CjwKCAjw_o-HBhAsEiwANqYhpxAU8inveaIUAUeqI5pJmZx71sJUg-ytprXmEw7oE-y5qfnEOKxs0xoCb4cQAvD_BwE Sie schlagen vor, dass wir bessere Ergebnisse erzielen könnten, wenn wir unsere Ziele nicht SMART, sondern FAST[4]frequently discussed, ambitious, specific and transparent (häufig diskutiert, ehrgeizig, spezifisch und transparent) formulieren:
Eine mehr als überlegenswerte Variante der prozessbegleitenden Rückmeldung!
Weiterführendes Material
- Aufgaben zur Medienbildung (Westermann-Verlag)
- Spark-Slide zur Frage: Kompetenzorientiert unterrichten – Was ist das eigentlich? Hier am Beispiel des Lehr-Lernkonzept von Prof. Leißen (siehe Zitat oben)
- Bloomsche Lernzieltaxonomie nach Anderson und Krathwohl (Video von Peer Stechert)
- Die Rolle der Schulleitung bei der Unterrichtsentwicklung , Hilbert Meyer
- Helen Timperley (Neuseeland): LERNEN UND PROFESSIONELLE ENTWICKLUNG VON LEHRKRÄFTEN(in einer Übersetzung von Dorothee Gaile, Michael Katzenbach (ehemals Amt für Lehrerbildung, Frankfurt))
- Lisa Roth: Projektlernen: wie geht das?
- edutopia: 3 Ways to maximize Peer-to-peer learning, tolle Animation, die in 90 sec. nicht nur erklärt, worum es bei peer to peer geht, sondern auch einige Methoden dazu vorstellt…
- Vielfalt fördern anhand von Lernlandkarten, ein MOOC der Bertelsmann-Stiftung
- Zukunft des Lernens, Selbstorganisierter Kompetenzerwerb durch personalisiertes Lernen
- Publikationsreihe Wirksamer Unterricht (Band 1: Trautwein, Sliwka, Dehmel; Band 2: Fauth, Leuders; Band 3: Sliwka, Klopsch, Dumont)
- 15 Unterrichtsideen für digitales Arbeiten (verschiedene Autoren für das ZUM POrtal)
- Lerntheorien – Vom Behaviorismus bis zum Konnektivismus, Ein YT-Video der Uni Heidelberg
Englischsprachig:
- Unterrichtsdiagnostik als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklung von Andreas Helmke, Gerlinde Lenske
- Unterrichtsdiagnostik, Broschüre zu EMU
- Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung (LDK)
Kooperatives Lernen mit digitalen Medien
Aus dem Anmoderationstext:
In der Zusammenarbeit von einer Trainerin und einem Trainer für Unterrichtsqualität sowie einer medienpädagogischen Beraterin und einem medienpädagogischen Berater entstanden die folgenden Handbücher zur Umsetzung bewährter Methoden mit digitalen Medien. Lehrkräfte finden hier Anregungen und Anleitungen um im Team zu arbeiten, digitale Medien auszuprobieren und mit den Schülerinnen und Schülern zusammen Unterricht zu erleben.
Marco Galle: Unterrichtszentrierte Schulentwicklung
In diesem Open-Access-Buch untersucht Marco Galle, wie Lehrpersonen und Schulleitende ihren Unterricht und ihre Schule so weiterentwickeln können, dass sich die persönlichen Voraussetzungen und Ziele der Schülerinnen und Schüler verstärkt berücksichtigen lassen. Die Ergebnisse einer Längsschnittanalyse von Leitfadeninterviews aus zehn Schweizer Schulen, die personalisierte Lernkonzepte eingeführt haben, zeigen zahlreiche Entwicklungstätigkeiten auf Unterrichts- und Schulebene. So wird die Qualität der Lernaufgaben verbessert oder es werden individuelle Coachingangebote geschaffen. Mittels einer darauf aufbauenden transformativen Mixed-Methods-Datenanalyse werden pädagogisch-psychologische Unterrichtsmerkmale eruiert, die Hinweise darauf geben, warum solche Entwicklungsprozesse scheitern oder gelingen.
Rebecca Lazarides & Anja Schiepe-Tiska: Heterogenität motivationaler Merkmale im Unterrichtskontext
Der angemessene Umgang mit Heterogenität gilt als eine der zentralen Herausforderungen aber auch als eine bedeutsame Chance für Schule und Unterricht. Dabei wird häufig die Frage diskutiert, wie Unterricht adaptiv das Leistungsniveau von Lernenden berücksichtigen kann. Im vorliegenden Beitrag gehen wir der Frage nach, wie Unterrichtsgestaltung die unterschiedlichen motivationalen Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern und ihr unterschiedliches motivationales Erleben von Lernsituationen angemessen aufgreifen kann. Dabei werden zunächst theoretische und empirische Perspektiven auf motivationale Heterogenität und ihr Zusammenwirken mit geschlechtsbezogenen, sprachlichen oder sozialen Heterogenitätsdimensionen diskutiert. Anschließend befassen wir uns mit der Frage, wie und unter welchen Bedingungen Unterricht adaptiv unterschiedliche motivationale Lernvoraussetzungen aufgreifen kann und schlagen ein Prozessmodell motivational adaptiver Unterrichtsgestaltung vor, aus dem auch praktische Implikationen für Lehrkräftebildung und Unterrichtspraxis abgeleitet werden.
Weitere Materialien via Links:
- Wie wirksam sind Digitale Medien im Unterricht, Bertelsmann-Stiftung
- Schwerpunktthema Wirksamer Unterricht. Band 1 mit Grundlagen (Autoren Ulrich Trautwein, Anne Sliwka und Alexandra Dehmel) und Band 2 mit dem Thema “Kognitive Aktivierung” (Autoren Benjamin Fauth, Timo Leuders), Band 3 mit dem Thema Konstruktive Unterstützung im Unterricht (Sliwka/Klopsch/Dumont), Landesinstitut für Schulentwicklung
- Sketchnotesammlung zum Thema SOL, tolle Sammlung aus Baden Württemberg, illustriert von Wibke Tiedmann
- Abschluss-Publikation Digitale Medien in der Grundschullehrerausbildung
-
Differenzieren mit digitalen Medien, mebis bayern
- Johlen, Hirth: Das Lernschrittkonzept – Schritt für Schritt auf dem Weg in eine neue Lehr- und Lernkultur. HKM, Wiesbaden 2012
- Andreas Müller: Personalisiertes Lernen, Handbuch und Bausteinhefte, Institut Beatenberg
Praxis
- Feedback in der Schule. Hinweise und Beispiele
- Methodenkoffer
- Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung (LDK)
Theorie
- Wie kann Schülerfeedback wirksam werden?
- Auszug aus „Lernen nach Hattie. Wie gelingt guter Unterricht?“
- Welche Erfolgsfaktoren guten Unterrichts hat Hattie in seiner Studie ausgemacht? Antworten gibt ein kurzes und übersichtliches Erklärvideo
References
↑1 | http://www.lehr-lern-modell.de/guterunterricht/ |
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↑2 | ebda. |
↑3 | https://sloanreview.mit.edu/article/with-goals-fast-beats-smart/?gclid=CjwKCAjw_o-HBhAsEiwANqYhpxAU8inveaIUAUeqI5pJmZx71sJUg-ytprXmEw7oE-y5qfnEOKxs0xoCb4cQAvD_BwE |
↑4 | frequently discussed, ambitious, specific and transparent |