Wer hat nicht von ihr gehört, von der Hattie- Studie „Visible learning“. Noch immer werden die Aussagen bzw. Ergebnisse kritisch gestellt. Vor allem wegen der unterschiedlichen Settings (aka Nichtvergleichbarkeit) der ausgewerteten Studien.

Die jüngste Veröffentlichung The Power of Feedback Revisited setzt sich mit dieser Kritik auseinander und beschäftigt sich vor allem mit der Frage: Welche Form eines Feedbacks sorgt bei den Schülerinnen und Schülern für positive Effekte bezüglich der anzustrebenden Lernziele (Outcomes)? Wie unterscheiden sich Feedbacks auf

  • Schülerleistung, Wissenspeicherung, Testleistung (Kognition)
  • Selbstwirksamkeit und Ausdauer (Motivation),
  • Entwicklung motorischer Fähigkeiten (Physis) und
  • Schülerverhalten im Unterricht, Disziplin (Behaviorismus)?

Es wurde zwischen verschiedenen Arten von Feedback unterschieden:

  • Verstärkung/Bestrafung,
  • korrigierendes Feedback und
  • umfänglich Informationen bereitstellendes Feedback.

Schließlich wurde noch unterschieden, wer wem ein Feedback gibt:

  • von Lehrkraft an Schüler*innen
  • von Schüler*innen an Lehrkraft und
  • von Lernende an Lernende.

 

Ergebnisse

Lehrkraft –> Schüler*in

  • Feedback ist für kognitive und physische Leistungsrückmeldungen effektiver als für Motivations- und Verhaltenskriterien.
  • Feedback ist umso effektiver, je mehr Informationen es enthält.

Feedback mit umfänglichen Informationen zu Aufgaben, Prozessen und Selbstregulierung entfalten eine große Wirkung. Schüler*innen profitieren offensichtlich in hohem Maße von Rückmeldungen, wenn sie nicht nur verstehen, welche Fehler sie gemacht haben, sondern auch, warum sie diese Fehler gemacht haben und was sie tun können, um sie beim nächsten Mal zu vermeiden. Dass schriftliches Feedback effektiver ist als mündliches Feedback, konnte nicht bestätigt werden. 

Schüler*in–> Lehrkraft

Effekte waren hauptsächlich in Studien zu finden, die sich mit der Hochschulbildung befassten, d. h. mit Rückmeldungen von Universitäts- oder College-Student*innen an ihre Professor*innen. Folglich lassen die Daten keine Rückschlüsse auf die Wirksamkeit des Feedbacks von Schüler*innen an Lehrkräfte im schulischen Kontext zu. Im Allgemeinen ist das Feedback von Lehrkaft zu Schüler*innen effektiver als das von den Lernenden zur Lehrkraft. Gleichwohl verweist die hohe Varianz beim letztgenannten Feedbackformat auf positive Erfahrungen. Es fehlen allerdings (noch) Kennzeichnungen von Gelingensbedingungen.

Schüler*innen –> Schüler*innen

In Bezug auf die Richtung des Feedbacks ist das Peer-Feedback die effektivste Form. Andererseits: Es ist Vorsicht geboten, da diese Einschätzung auf einer sehr kleinen Stichprobe von nur acht Studien basiert!

In einem Interview setzen sich zwei der Autoren, Benedikt Wisniewski  und John Hattie, mit besonders effektiven Methoden auseinander, die nun im Folgenden näher beschrieben werden. 

Feedback lebt von Fehlern

Aber nur dann, wenn man damit geeignet umgeht. Hattie verweist auf eine Studie, die Folgendes beschreibt:

Schüler*in macht einen Fehler. In 50 % der Fälle korrigiert die Lehrkraft selbst. Oder, zweite Möglichkeit, ebenso häufig: Die Lehrkraft fragt einen anderen Schüler*in. Lerngewinn für die Lernenden: nahezu Null. Die Lernenden melden zurück, dass sie sich peinlich berührt sehen, sich in der Folge verschließen und hoffen, nicht aufgerufen zu werden.

Was erwarten die Schüler*innen gemäß dieser Studie?

Sie wollen wissen, wie andere auf die richtige Antwort gekommen sind.

Auch wenn die Lernenden zur Klausur, zur Klassenarbeit  eine Vielzahl von Korrekturkommentaren erhalten haben, werden sie angeben, sie hätten nie eine Rückmeldung erhalten. Eben, weil die Hinweise nichts dazu beigetragen haben zu verstehen, wie man auf das richtige Ergebnis kommt.

Hattie schlägt ein „Turn it in“– Verfahren vor: Die Schüler*innen erhalten ein Feedback der Lehrkraft oder von einem Computersystem. Anschließend überarbeiteten die Lernenden ihren schriftlichen Leistungsnachweis und reichen ihn noch einmal ein. Die sich wiederum anschließende Korrektur liefert dann die Endnote mit dem zusätzlichen Effekt, etwas über den Lernzuwachs zwischen dem Zeitpunkt der Klausurabgabe und der anschließenden Überarbeitung zu erfahren.

Feedback ist prozess-, nicht faktenorientiert

Wenn sich Unterricht auf Inhalte konzentriert, auf Fakten und Konzepte zu einem Thema, dann ist der Wert eines Feedbacks sehr gering. Es gewinnt an Wirkmächtigkeit, wenn die Lernenden in den Anforderungsbereich II/ III kommen (Anwendung/ Vernetzung) und dort ein Peer Feedback erhalten. Lehrkräfte sollen, so Hattie, mehr Schüler*innen gesteuerte Diskussionen zulassen und weniger selbst steuernd auftreten.

Hattie berichtet von einer Lehrkraft, von der die Lernenden berichtet haben, wie ermüdend ihr Unterricht sei. Sie erbat eine Unterrichtshospitation. Es wurde eine App („Visible classroom“) eingesetzt, mit der Möglichkeit einer Transkription der Redeanteile.

Mithilfe der App gelang es, den Unterschied zwischen Selbst- und „Fremd“bild deutlich zu machen: Sie musste einen nahezu 100 % Redeanteil konstatieren. Und: den 55- fachen Einsatz des Zischlauts „Ssshhh“.

 

Die nächste Stunde war dann komplett befreit vom Zischlaut sowie mit einem 60 % Redeanteil gestaltet. Und natürlich fragten die Schüler*innen die App- Entwickler, was denn hier geschehen sei. Die einfache Antwort war und ist:

Erst mit der Einsichtnahme in die Aufzeichnung bzw. der Analyse des Transkript kam die Lehrkraft zum Schluss: „Nun, vielleicht muss ich hier etwas ändern.“

Hattie: Die App- Entwickler fanden das natürlich toll und waren selbst verblüfft, dass man den Unterricht über Nacht so verändern kann. Käme selten vor, war aber in diesem Fall so

Zusammenfassung

Als Quintessenz formuliert Hattie am Ende des Interviews: Lehrende sollten sich selbst durch die Augen der Schüler*innen sehen. Und nicht ständig durch die eigenen Augen sehen:

Kenne Deinen Einfluss. Verstehe Deine Wirkung auf Deine Schüler*innen.

Das wirft drei Fragen auf:

  • Wirkung auf was?
  • Wirkung durch wen?
  • Wirkung, wie stark?

Das geht nur, wenn ich offen für eine Rückmeldung durch die Schüler*innen bin.

Feedback ist ein komplexes und differenziertes Konstrukt, das viele verschiedene Formate besitzt und unterschiedliche Auswirkungen auf das Lernen der Schüler*innen aufweisen. Feedback ist umso effektiver, je mehr Informationen damit verknüpft sind. Feedback ist im Durchschnitt leistungsfähig, aber einige Formate zeichnen sich besonders aus. Wie im Interview ausgeführt, sind dies: Umgang mit Fehlern und  Prozess(=Peer)feedback!

Bildnachweis: Twitter @VisibleLearning