Die dritte Woche im Projekt uni@schule. Heute geht es um das Kerngeschäft. Um den Erwerb digitaler Kompetenzen. Wie gestaltet sich der Bildungsauftrag? Welche digitalen Kompetenzen sind zu vermitteln? Über welche Kompetenzen müssen Lehrkräfte verfügen, um dem Auftrag gerecht zu werden? In der Freitagsrunde (Reflexionsphase) wird abschließend die Frage gestellt: Umsetzung digitaler Unterricht in drei Schritten. Meine Überlegungen am Ende des Beitrags.
Rückblick
Mit einem sogenannten Onboarding Prozess wurden die Teilnehmer:innen (TN) in die bereitgestellten Werkzeuge Canvas (LMS), Pronto (Messenger/ Chat) und Wonder (Videochat) eingeführt. Das wurde auf zwei Wegen bewerkstelligt:
- Die formale Einführung in die Technik.
- Die “Inbetriebnahme” mit einem konkreten inhaltlichen Auftrag, hier: Auseinandersetzung mit dem ökosystemischen Modell von Bronfenbrenner.
Beeindruckt haben mich Forenbeiträge und Rückmeldungen der TN gleichermaßen. Die Seminarleiterin warb in den Briefings und in den Reflexionsphasen immer wieder darum, sich auf eine inhaltliche Auseinandersetzung einzulassen. “Motivation” war sicher auch das Bewertungsschema: Sowohl der Lernprozess wird bewertet, wie auch das Lernprodukt (Analyse bzw. Auswertungen der Rückmeldungen zum eigenen Beitrag).
Ich halte dieses Vorgehen auch gut auf den schulischen Unterricht übertragbar. Ich habe in diesem Zusammenhang gute Erfahrungen mit einem kooperativ (Lehrkraft – Schülerinnen und Schüler) erstellten Kriterienkatalog gemacht. Das sorgt für eine hohe Akzeptanz unter den Lernenden und (in der Regel) wenig Diskussionen bei der späteren Punktzumessung. Aber nun wieder zurück zum eigentlichen Thema dieser Woche:
Bildungsauftrag und digitale Kompetenzen
Bevor ich auf die einzelnen Kompotenzmodelle eingehe, zunächst ein Hintergrundbericht eines Schülers, der über sein Bewerbungsverfahren berichtet:
Schülerinterview: Digitales Bewerbungsverfahren auf Distanz
Auch wenn die Anforderungsprofile unterschiedlich sein mögen, sind die Tipps des Schülers für viele Bewerbungen übertragbar. Und, so mein Plädoyer: Schule muss wahrnehmen, wie sich die berufliche Welt verändert hat, wie wichtig es ist, Schülerinnen und Schüler – auch mit Blick auf zukünftige Berufe – medienkompetent zu machen. Dazu später noch mehr …
Zunächst: Wie digital kompetent bin ich als Lehrender eigentlich? Eine Beantwortung ist nicht ohne Referenzrahmen möglich, hier DigCompEdu. Das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (LMZ) beschreibt die Ziele des DigCompEdu wie folgt1:
Der digitale europäische Kompetenzrahmen für Lehrkräfte soll dazu dienen, dass Lehrende ihren Kompetenzstand im digitalen Bereich ermitteln und so ihren persönlichen Weiterbildungsbedarf ermitteln können. Außerdem gibt er darüber Aufschluss, welche digitalen Kompetenzen an die Bürger von morgen weitergegeben werden müssen. (…) Dass sich auch Lehrkräfte in einer immer digitaler werdenden Welt an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen, sollte selbstverständlich sein. Doch handelt es sich bei den meisten der zu erwerbenden Kompetenzen nicht nur um eine neue Methodik, sondern auch das traditionelle Lehrerbild selbst wird dadurch durchaus infrage gestellt. Dies stellt für nicht wenige Lehrkräfte eine erste Hürde dar, die es zu überwinden gilt. Erst wenn sie überwunden ist und Neugier auf das Neue und eine Bereitschaft, sich darauf einzulassen, vorhanden ist, kann der Lernprozess beginnen. Um dieses Stadium zu erreichen, ist es zwingend notwendig, dass man sich der Tatsache bewusst wird, dass es um eine zeitgemäße Bildung für die nächste Generation und die Zukunft der Gesellschaft geht und man sich der Veränderung der Gesellschaft nicht verweigern kann.
Und wie bereits im Rückblick beschrieben, werden die TN auch dieses Mal eingeladen, über ihren Selbsttest zu reflektieren:
- Wie ging Euer Selbsttest aus und wie kommentiert ihr ihn?
- Wir können digitale Kompetenzen für Lehrende und Lernende in der Praxis erworben werden?
- Wie können Bildungsauftrag und digitale Kompetenzen vermittelt werden?
- Was denkt ihr (kritisch) zu den digitalen Rahmenmodellen?
Mit der letzten Frage ist ein Selbststudium in weitere Rahmenmodelle KMK Strategie ‘Bildung in der digitalen Welt’, Dagstuhl- Dreieck, P21 – 4K und TPACK verbunden. Viele Beiträge setzen sich vor allem mit der Adressierung an Schülerinnen und Schüler auseinander. Die am Freitag durchgeführte Priorisierung zeigt folgendes, nicht ganz überraschendes Ergebnis (Klick auf Diagramm vergrößert):
Qualitativ wird in den Diskussionen ergänzt:
Das Modell der KMK umfasst eine Vielzahl von Aspekten, die jedoch nicht an jeder Schule realisierbar sind (technische Ausstattung, persönliche Kompetenzen etc.). Zusätzlich liegt ein Schwerpunkt nicht auf den einzelnen Kompetenzen, sondern auf der Vernetzung verschiedener. Diese sind im Schulalltag umsetzbar, allerdings sind die verschiedenen Ebenen von den eigenen Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten geprägt. Nur wenn ein Selbstverständnis zu diesen vorherrscht, können reflexive Vorgänge und neue Prozesse stattfinden.
Das Modell 4K hilft, die Bildung mit anderen Augen wahrzunehmen. In diesem Modell werden Kommunikation, Kollaboration, kreatives Denken und kritisches Denken als sehr wichtig erachtet. Traditionelle Bildungsansätze rücken in den Hintergrund. Mit diesem Modell könnte ein „modernes“ Lernen mit digitalen Kompetenzen und der Vorbereitung aufs spätere Berufsleben umgesetzt werden.
Streng genommen hätte das 4K- Modell gar nicht aufgenommen werden dürfen, da es sich nicht um ein Referenzmodell handelt. Gleichwohl lässt es sich mit Blick auf Fachunterricht wie auch themenorientierten Unterricht (etwa in Projektwochen) gut einbinden. Dazu gleich mehr, denn nun – wie angekündigt – zur
Umsetzung digitaler Unterricht
Bildungsauftrag/ KMK- Strategie: Leitbild für eine Schule 2030
Der Bildungsauftrag einer Schule wird in der Regel im Schulgesetz verankert, so auch in Niedersachsen im § 2 des entsprechenden Gesetzes. Eine Lehramt Studierende hat sich gefragt, inwieweit die KMK Kompetenzen in der Beschreibung des Niedersächsischen Schulgesetzes aufgehen. Und siehe da: Die sechs KMK Kompetenzen lassen sich den Spiegelpunkten des § 2 zuordnen. Sie schreibt abschließend: Alle Aspekte (KMK- Kompetenzen) sind wichtig für den (Teil)Bildungsauftrag „sich im Berufsleben behaupten und das soziale Leben verantwortlich mitgestalten.
Das ist für mich der Ansatzpunkt für einen Blick nach vorn, für eine geeignete Begleitung einer Schülerin, eines Schülers bei ihrer/ seiner Vorbereitung auf das Berufsleben.
Der PISA-Koordinator Andreas Schleicher hat in Deutschland das Modell 4 K – Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation ins Spiel gebracht. Auch er argumentiert von beruflichen Anforderungen aus, die klassische Unterrichtsfächer in den Hintergrund rücken ließen. Schleicher betont, der Umgang mit Wissen habe sich gewandelt: Inhalte würden nicht mehr gespeichert und dann von Lehrkräften an Lernende vermittelt. Vielmehr flössen sie, meint Schleicher, in Strömen unablässiger Kommunikation und Kollaboration. Die Bildungsforscherin Lisa Rosa teilt diese Sicht und benennt drei Argumente, warum das 4K-Modell zum Orientierungspunkt für die Didaktik werden sollte2:
- Immer mehr Arbeiten werden von Maschinen übernommen.
- Jede neue Arbeit verlangt mehr komplexes Denken, situierte selbstverantwortliche Entscheidungen und Beziehungsfähigkeit.
- Die zu lösenden gesellschaftlichen Probleme sind so komplex, dass sie nur noch mit kollektiver Intelligenz bearbeitbar sind.
Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, das Netzwerk Schule- Wirtschaft in Bayern kennenzulernen. Mich hat beeindruckt, wie sehr dieses Netzwerk daran interessiert ist, die Angebote zur Berufsorientierung neu zu denken. In den Vorgesprächen wurde deutlich, wie vernetzt sich die Arbeitsbereiche innerhalb der Betriebe und Unternehmen zeigen. Die zukünftigen Berufe erwarten von den Bewerberinnen und Bewerbern zunehmend (u. a.)
- Kritisches Denken, induktives Denken
- Lösung komplexer Probleme
- Aktives Zuhören
- Soziale Auffassungsgabe
- Programmierung
Und, ganz großes Thema im beruflichen Bereich und in den Universitäten: Bereitschaft und Kompetenz, in interdisziplinären Gruppen zu arbeiten. Da treffen nicht selten Produktentwicklung, Kommunikation, Juristik (Datenschutz, Urheberrecht, Markenschutz), Ethik und einige weiterer Abteilungen zusammen, um an den Fragestellungen zu arbeiten. Und, so ein Universitätsprofessor der Medizin einmal zu mir: Es wäre schön, wenn die zukünftigen Studierenden eine gewisse 4K- Kompetenz mitbrächten.
Warum also nicht Netzwerke wie Schule- Wirtschaft, Universitätsvertretungen einladen und in Gesamt- und Schulkonferenzen zukünftige Berufsbilder vorstellen und beschreiben lassen? Ich bin sicher, dass damit Denkprozesse für eine Erweiterung des Schulangebots in Gang gesetzt werden und in eine beginnende Arbeit an einem Leitbild Schule 2030 münden. Mit diesen ergänzenden Inputs gelingt es den Gremien darüber hinaus, Kompetenzmodelle mit Inhalten zu versehen. Ein häufig vorgetragener Vorwurf an die oben vorgestellten Referenzenrahmen KMK, TPACK und Dagstuhl- Dreieck.
Über ein schulweites DigCompEdu zum Fortbildungsplan
Eigentlich selbstverständlich und doch kaum vorhanden: adäquate, d.h. dem Kenntnisstand der Lehrkräfte anpassbare Fortbildungsangebote. Hier ist mein Vorschlag:
- Test-Code via Kontaktadresse besorgen und an die Lehrkräfte verteilen. Sie bitten, an der Befragung teilzunehmen und von den freien Antwortmöglichkeiten (Textboxen) ausgiebig Gebrauch zu machen.
- Mit örtlichen/ regionalen Medienzentrum oder anderen staatlichen Institutionen (z. B. Schulberatung, s. u.) die Rückmeldungen auswerten und einen ersten Vorschlag für eine schulinterne Fortbildungsmaßnahme entwickeln. Ressourcen sicherstellen.
- In Gesamtkonferenz vorstellen, ggfs. modifizieren und verabschieden lassen.
- Durchführung zeitnah sicherstellen.
- Evaluation nicht vergessen.
4K: Unterrichtsangebot erweitern um Projektwochen
Einige Schulen sammeln zurzeit beste Erfahrungen mit fächerübergreifenden Unterrichtsansätzen. Drei Ideen will ich hier mit Links vorstellen:
- THEO/ LEA mit dem zugehörigen Stundenplan und einer Reaktion aus der Elternschaft. Im Stundenplan ist noch eine weitere Idee erkennbar:
- FreiDay, einem Ansatz, an dem die Lernenden bestimmen, was in diesem Zeitfenster gemacht werden soll.
- Deeper Learning, einem Unterrichtskonzept, das (nicht nur) durch seine Outputorientierung besticht.
Schlussbemerkung
Die drei Vorschläge sind nicht voneinander abhängig. Im Gegenteil: Meine bisherigen Beobachtungen im Umgang mit den normativen Vorgaben der KMK (Kultusministerien) sind ernüchternd, gleichwohl plausibel: An vielen Schulen wird fachcurricular überlegt, wo die digitalen Medien “ihren” Platz einnehmen können, mit der Gefahr einer Toolifizierung des Unterrichts. Meine drei Ansätze sollen neue Wege im Umgang mit diesen Herausforderungen aufzeigen. Sie erfordern langen Atem, Überzeugungsarbeit und Unterstützung von außen. Manche lokale/ regionale Institutionen bieten eine Unterstützung der Schulen in deren Leitbild/ Schulprogrammarbeit an. Ich selbst war eine Zeit lang an einer dieser Beratungsstellen beschäftigt. Meine Erfahrungen habe ich in einer gleichnamigen Themenseite zusammengefasst.
Darüber hinaus empfehle ich für weitergehende Überlegungen bezüglich einer Verankerung von berufsorientierten Ansätzen die Kontaktaufnahme mit dem regionalen Schule- Wirtschaft Netzwerk.
Schließlich rege ich an, die Ideen, Konzepte im P D C A Zyklus zu implementieren. Jeder neue schulprogrammatische Ansatz gehört überprüft. Darüber hinaus halte ich eine externe Evaluation für sinnvoll, nicht zuletzt, weil sie dazu beiträgt, das Selbstbild der Schule (Schulleitung, Steuergruppe, weitere Gremien) mit einer Rückmeldung von außen abzugleichen.
So viel zu dieser Woche. Nächste Woche geht es um multimediale Gestaltungsprinzipien, mit Konkretisierungen und Praxisüberlegungen zum Unterricht …
… Stay tuned …
Bildnachweis: @ec.europa.eu/jrc/en/digcompedu