Auf die gelegentlich zu hörende Bemerkung, in Zeiten von Google und Co. sei Faktenwissen gar nicht mehr nötig, hat Hattie deutlich widersprochen:[1]https://deutsches-schulportal.de/bildungsforschung/john-hattie-weniger-lehrplan-mehr-leidenschaft/

Ohne Fachwissen kann man keine Probleme lösen. Wissen und Kompetenzen sind keine Gegensätze. Es ist kein Entweder-oder. Ich habe vor ein paar Wochen mit neun Koautoren ein Buch veröffentlicht – übrigens zum kostenlosen Download –, in dem wir argumentieren, dass es eine Balance von Wissen und Kompetenzen braucht. Wenn man sich die meisten Lehrpläne auf der Welt anschaut, dann sprechen sie alle von Kompetenzen oder Problemlösung. Aber was wird tatsächlich unterrichtet, was wird bewertet? Wissen. 

Wie angekündigt, hier eine Zusammenfassung:[2]https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-031-74661-1, im Dialog mit ChatPDF

Aufgrund kognitiver Psychologie und gesellschaftlicher Veränderungen erlebt die Bedeutung von Wissen in der Bildung derzeit eine Renaissance. Die kognitive Psychologie bietet laut der zehn Autoren eine Reihe von Erkenntnissen, die die Vermittlung komplexer Fähigkeiten maßgeblich beeinflussen, insbesondere in den folgenden Bereichen:

  • Rolle des Vorwissens: Die kognitive Psychologie betont, wie wichtig es ist, Vorwissen zu aktivieren und zu nutzen, um neues Lernen zu ermöglichen. Eine gut etablierte Wissensbasis verbessert die Effektivität des Arbeitsgedächtnisses und erleichtert die Aufnahme und Integration neuer Informationen. Dies deutet darauf hin, dass das Unterrichten komplexer Fähigkeiten wie kritisches Denken und Problemlösung damit beginnen sollte, sicherzustellen, dass die Schüler über eine solide Grundlage an relevantem Wissen verfügen.
  • Intensive Auseinandersetzung mit Wissen : Die kognitive Psychologie geht davon aus, dass es nicht ausreicht, sich Wissen nur anzueignen; um komplexe Fähigkeiten zu entwickeln, muss man sich intensiv damit auseinandersetzen. Das bedeutet, dass Pädagogen die Schüler dazu ermutigen sollten, sich kritisch und kontextbezogen mit Wissen auseinanderzusetzen, anstatt es auswendig zu lernen. Durch intensive Auseinandersetzung mit Inhalten können die Schüler ihr Wissen in verschiedenen Szenarien effektiver anwenden.
  • Feedback und Anpassung : Laufende Beurteilung und Feedback sind wichtige Komponenten, die in der kognitiven Psychologie hervorgehoben werden. Effektiver Unterricht beinhaltet, den Schülern zeitnahes Feedback zu ihren Denkprozessen und Problemlösungsansätzen zu geben, damit sie ihre Strategien anpassen und ihr Verständnis im Laufe der Zeit verbessern können. Dieser iterative Prozess ist für die Beherrschung komplexer kognitiver Fähigkeiten von entscheidender Bedeutung.

Indem sie diese Erkenntnisse der kognitiven Psychologie in die Unterrichtspraxis integrieren, können Lehrer die Entwicklung komplexer Fähigkeiten wirksamer fördern und sicherstellen, dass die Schüler nicht nur mit Wissen ausgestattet sind, sondern dieses auch sinnvoll anwenden können.

Ein wissensorientierter Lehrplan hat mehrere Auswirkungen auf die Bildungspolitik, darunter:

  1. Lehrplangestaltung und Inhaltsstandards : Bildungspolitische Maßnahmen sollten der Entwicklung eines kohärenten, wissensreichen Lehrplans mit klaren Inhaltsstandards Priorität einräumen. Das bedeutet, dass politische Entscheidungsträger definieren müssen, was fächer- und klassenübergreifendes Wissen ausmacht, um sicherzustellen, dass alle Schüler auf eine breite und fundierte Wissensbasis zugreifen können.
  2. Abstimmung mit Bewertungspraktiken : Um einen wissensorientierten Lehrplan zu unterstützen, müssen Bewertungspraktiken mit den Lehrplanzielen abgestimmt sein. Dazu gehört die Entwicklung von Bewertungen, die nicht nur das Wissen der Schüler bewerten, sondern auch ihre Fähigkeit, dieses Wissen in komplexen Problemlösungs- und kritischen Denkszenarien anzuwenden. Die politischen Entscheidungsträger müssen Bewertungsstrategien fördern, die den Wissensschwerpunkt des Lehrplans widerspiegeln.
  3. Berufliche Weiterbildung für Pädagogen : Die erfolgreiche Umsetzung eines wissensreichen Lehrplans erfordert eine umfassende berufliche Weiterbildung der Lehrer. Bildungspolitiken sollten fortlaufende Schulungsprogramme fördern, die Pädagogen die Fähigkeiten vermitteln, komplexes Wissen effektiv zu vermitteln und die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Fächern zu verstehen. Dazu gehört, dass Lehrer mit Strategien vertraut gemacht werden, um Schüler mit Inhalten zu versorgen und sie intensiv mit ihnen zu beschäftigen.
  4. Förderung der Bildungsgerechtigkeit : Durch die Betonung eines wissensorientierten Lehrplans kann die Politik den Schwerpunkt auf die Verringerung der Bildungsungleichheit legen. Wenn sichergestellt wird, dass alle Schüler, unabhängig von ihrem Hintergrund, Zugang zu einem umfangreichen Wissensschatz haben, kann dies dazu beitragen, Leistungslücken zu schließen. Die politischen Entscheidungsträger müssen Strategien in Betracht ziehen, die zusätzliche Ressourcen und Unterstützung für unterrepräsentierte oder einkommensschwache Schüler bereitstellen, um gerechte Lernmöglichkeiten zu fördern.
  5. Kohärenz und Integration des Lehrplans : Richtlinien sollten die Kohärenz des Lehrplans fördern, d. h., dass die Inhalte aller Fächer logisch angeordnet und integriert werden sollten. Pädagogen benötigen Anleitungen, wie sie große Ideen und Wissensbereiche im Lehrplan miteinander verknüpfen können. Dies könnte die Entwicklung interdisziplinärer Ansätze beinhalten, die ein umfassendes Verständnis verschiedener Fächer fördern.
  6. Langfristige Forschung und Evaluierung : Die politischen Entscheidungsträger sollten eine fortlaufende Forschung zur Wirksamkeit wissensorientierter Lehrpläne anordnen. Die Evaluierung der Auswirkungen dieser Lehrpläne auf die Lernergebnisse der Schüler ermöglicht Anpassungen und Verfeinerungen auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse. Erfolgreiche Strategien müssen anpassungsfähig sein und auf einer kontinuierlichen Bewertung der Bildungspraxis basieren.

Gefordert wird ein wissensorientierter Lehrplan, der Wissen und komplexe Kompetenzen in Einklang bringt. Dies hat mich zu den Vorschlägen in meinem sechsten Beitrag geführt: Vernetzung der Fächer, Beschreibung von Kompetenzprofilen, Überprüfung der Prüfungskultur.

References

References
1 https://deutsches-schulportal.de/bildungsforschung/john-hattie-weniger-lehrplan-mehr-leidenschaft/
2 https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-031-74661-1, im Dialog mit ChatPDF