Am Anfang eines jeden Jahres gehen einem viele Gedanken durch den Kopf, auch mit Rückblick auf das Jahr 2020. Was treibt mich hier besonders um? Vor allem der in den sozialen Medien deutlich sichtbare Graben zwischen denen, die hybride Settings mit neuen Aufgabenkulturen befürworten und denen, den es gar nicht schnell genug gehen kann, wieder zur gewohnten Gutenbergumgebung zurückzukommen.

Ich sehe es ähnlich wie Claudia Schwemmers:

Wie können wir den Abstand zwischen den medienaffinnen und den (noch) nicht so entwickelten Lehrkräften eines Kollegiums verkleinern? Dazu drei Vorschläge: Der erste richtet sich an die überwiegende Mehrheit der Lehrkräfte, die erste Erfahrungen gesammelt haben und Anregungen suchen, der zweite an die Kultusbehörden und der dritte an die Schulgemeinde bzw. Steuergruppe einer Schule.

 

Masterplan Lehrende

Lehr- Lernkonzept

Wie kann digital gestützter Unterricht und damit auch hybrider Unterricht (Wechselunterricht) gelingen? Wie gestaltet sich ein didaktischer Plan, der niederschwellig genug ist, um alle Lehrkräfte mit ins Boot zu nehmen, auch und gerade diejenigen, die beginnen, sich die digitalen Wege zu erschließen? Ich habe dazu anlässlich des ersten Lockdowns einige Vorschläge gemacht, die natürlich auch für aktuelle Schulschließungen genutzt werden können: 

Dieses von jeder Lehrkraft individuell umsetzbare Unterrichtssetting hat als Ziel, vor allem heterogene Lerngruppen geeignet zu unterstützen. Prozessmodell und digitale Medien haben mehr mit der Organisation des Lehr- und Lernprozesses, weniger mit der inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts zu tun. Sie haben auch nichts mit den aktuellen Herausforderungen bezüglich der Medienkompetenzförderung unserer Schülerinnen und Schüler zu tun. Darum soll es nun gehen.

Fokus: Arbeitsmarkt der Zukunft

 

Schulentwicklung kann nur gelingen, wenn man ein Ziel kennt. Stefan Voß (Landesinstitut für Schulentwicklung, Stuttgart) beschreibt zur Abbildung von Nadine Emmerling (Kultusministerium Baden-Württemberg)

 

die folgenden Dimensionen1:

Wenn man die allgegenwärtige Digitalisierung und das Bildungswesen miteinander in Bezug setzt, sind folgende Aspekte wichtig:

  • Die Digitalisierung ist so eng und selbstverständlich mit unserem Alltag verbunden (von der Onlinerecherche über den Fahrkartenautomaten bis zum Intranet der Kultusverwaltung), dass schon von einer digitalen Transformation gesprochen werden kann.
  • Dabei kommt der Schule die Aufgabe zu, junge Menschen dabei zu unterstützen, angesichts der rasanten und tief greifenden Veränderungsprozesse im beruflichen, im sozialen und im politischen Kontext diese Welt aktiv zu gestalten. (…) Die jungen Menschen nutzen digitale Medien schon vielfach für ihr Lernen – mal zielgerichtet, mal weniger; mal lernförderlich, mal weniger; mal im Wissen um rechtliche Rahmenbedingungen (z. B. den Datenschutz, das Urheberrecht, den Jugendmedienschutz), mal ohne dieses Wissen. (…)
  • Vor allem die Schule ist der Ort, an dem Lernende in didaktisch aufbereiteten Kontexten digitale Medien sinnvoll und qualitätsorientiert einsetzen lernen können.

 

 

Worauf kommt es in den kommenden Jahren an? Was erwartet unsere Schulabgängerinnen und -abgänger möglicherweise in naher Zukunft? Viola Schenz gibt in der Süddeutschen Zeitung einen Überblick.

 

 

 

 

Zusammengefasst zählt kritisches Denken, Problemlösefähigkeiten, selbstbestimmtes Lernen, Resilienz und Flexibilität zu den wichtigsten Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft. Auf der anderen Seite konstatiert Bildungsministerin Karliczek2:

In den vergangenen Jahrzehnten haben wir die Kinder immer weiter spezialisiert. Durch die Umwälzungen der digitalen Welt kann aber niemand mehr sagen, was in Zukunft richtig sein wird. Daher müssen wir das Gegenteil von Spezialisierung tun. Wir brauchen eine große Grundlagenbildung, um Kinder zu befähigen, Dinge einzuschätzen und zu vernetzen.

Wie können wir Schülerinnen und Schüler auf die Berufswelt vorbereiten? Was können wir tun, um einen Transfer von der Gutenberg(=Buch)- zur Turing(=Digitale Revolution)- Galaxie zu ermöglichen? Nun, zum einen mit Änderungen bzw. Anpassungen der Lehrpläne in den Bundesländern und zum anderen mit einer schulindividuellen Auseinandersetzung vor Ort, in der Schule. Fangen wir mit den Kultusministerien an:
 

Masterplan Ministerien

 Kompetenzen und deren mögliche inhaltliche Verknüpfung werden in Lehrplänen/ Kerncurricula beschrieben und sind verbindlich. In einigen Bundesländern können die Schulen eigene schulinterne Curricula entwickeln und von der Schulaufsicht genehmigen lassen.

Kultusbehörden nehmen immer dann Revisionen der Curricula zum Anlass, wenn Defizite sichtbar werden, die sich so schnell nicht mehr zukleistern lassen. Zuletzt war das nach Bekanntgabe der ersten PISA- Ergebnisse kurz nach der Jahrtausendwende der Fall. Bezüglich der KMK- Aussagen zur „Strategie Bildung in der digitalen Welt“ sehe ich dringenden Handlungsbedarf. Schaut man sich die zugehörige „Übersetzung“ bzw. Rahmung an, wird schnell klar, dass Schulen sich völlig überfordert sehen müssen, eine schulinterne Implementation dieser Vorlage selbst vornehmen zu wollen. Sie gelingen nach meiner Überzeugung nur, wenn das Kultusministerium hier seiner Verantwortung gerecht wird und sich dabei um – Stichworte: Apps & Tools, LMS, Datenschutz – die Umsetzung kümmert. Dazu zähle ich auch die Ausstattung und Auslieferung der Dienstgeräte für Lehrkräfte.

 

Präambel: Schule in der digitalen Welt

 

Was erwarte ich von einer Bildungsbehörde? Nun, zunächst einmal zu beschreiben, was sie unter „Kultur der Digitalität“  versteht. Ich habe im Rahmen meines Adventskalenders einige Ausführungen vorgestellt. Ich favorisiere die Dagstuhlerklärung, vor allem, weil sich hier interdisziplinär relevante Fachschaften (Medienpädagogik, Informatik und Wirtschaft), repräsentiert durch exzellente Expertise zusammengefunden haben, um sich auf folgende Forderungen zu verständigen3:

 

  1. Bildung in der digitalen vernetzten Welt (kurz: Digitale Bildung) muss aus technologischer, gesellschaftlich-kultureller und anwendungsbezogener Perspektive in den Blick genommen werden.
  2. Es muss ein eigenständiger Lernbereich eingerichtet werden, in dem die Aneignung der grundlegenden Konzepte und Kompetenzen für die Orientierung in der digitalen vernetzten Welt ermöglicht wird.
  3. Daneben ist es Aufgabe aller Fächer, fachliche Bezüge zur Digitalen Bildung zu integrieren.
  4. Digitale Bildung im eigenständigen Lernbereich sowie innerhalb der anderen Fächer muss kontinuierlich über alle Schulstufen für alle Schülerinnen und Schüler im Sinne eines Spiralcurriculums erfolgen.
  5. Eine entsprechend fundierte Lehrerbildung in den Bezugswissenschaften Informatik und Medienbildung ist hierfür unerlässlich.

Dies bedeutet:

Ein eigenständiges Studienangebot im Lehramtsstudium, das Inhalte aus der Informatik und aus der Medienbildung gleichermaßen umfasst, muss eingerichtet werden.

Die Fachdidaktiken aller Fächer und die Bildungswissenschaften müssen sich der Herausforderung stellen und Forschung und Konzepte für Digitale Bildung weiterentwickeln.

Umfassende Fort und Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte aus technologischer, gesellschaftlich-kultureller und anwendungsbezogener Perspektive müssen kurzfristig eingerichtet werden.

 

 

Lehrpläne, Kerncurricula

Weiterhin wünsche ich mir neben einer Begriff- und Inhaltsklärung eine den Medienkompetenzrahmen aufgreifende Anpassung der Lehrpläne/ Kerncurricula mit (u. a.)

  • mehr interdisziplinären Ansätzen: Analysiert man die Berufsvorhersagen (s. o.), so fällt auf, dass (hoch)qualifizierte Kompetenzen in verschiedenen und teilweise sehr unterschiedlichen Fachdisziplinen erwartet werden. Das Bildungssystem Schule kann hier Unterstützung bieten, z. B. durch Erweiterung der guten hessischen Erfahrungen aus der Zusammenlegung von Biologie, Chemie und Physik als NaWi-Unterricht in den Jahrgängen 5/6. Und/ oder – wie in Baden-Württemberg – durch das Angebot eines Profilfachs NW-T  (Naturwissenschaft, Technik) ab dem Jahrgang 8.
  • der expliziten Aufnahme projektorientierter Unterrichtsansätze, etwa Deeper Learning. Dabei ist eine Rechtsgrundlage für neue Prüfungsformate zu schaffen.
  • die Einführung des Faches Informatik in den Schulen (siehe auch die Empfehlung der Gesellschaft für Informatik zu den Kompetenzen für informatische Bildung im Primarbereich). Erste Entwicklungen in dieser Richtung sind in NRW im Projekt Informatik an Grundschulen zu beobachten.
  • Schulen mehr individuelle, curriculare (Gestaltungs)Spielräume geben, auch wegen der großen Systemunterschiede vor Ort.

 

Aus-, Fort und Weiterbildung

Hier sind m. E. sinnvolle Ergänzungen:

  • Aufnahme informatische Themen in den Curricula der Lehrkräfteausbildung
  • Entwicklung bzw. Bereitstellung von (OER-)Lehrmaterialien. Vielleicht lohnt ein Blick nach Neuseeland:
    • Das Ministerium initiiert Projekte, z. B. startete ein Lehrer “Celebrity Maths”, in dem berühmte neuseeländische Sportler Kindern in kleinen Filmclips mathematische Fragen aus ihrer Disziplin stellen, Schulen machen aus den liebsten Lockdown-Rezepten der Kinder digitale Bücher, und im ganzen Land basteln Schüler Zeitkapseln mit Tagebucheinträgen, Artikeln und Supermarktrechnungen, die später an diese außergewöhnliche Zeit erinnern werden.
    • Das Ministerium unterhält zwei Fernsehkanäle im öffentlichen Bildungs-TV. Hier ist denkbar, dass man mit WDRBR und weiteren Unternehmen (Bildungsverlage, Sofatutor, fobizz) in Kontakt tritt, um zu geeigneten Vereinbarungen zu kommen. 
  • Fortbildungsangebote organisieren. Dabei Apps und Tools DSGVO konform vorgeben. Das sorgt bei Schul- und Lehrkäftewechsel für schnelle Anschlussfähigkeit und mindert einen Wildwuchs, lokal, regional und überregional.

Folgewirkung

Solche Überlegungen berücksichtigen viele Einlassungen der Schule und ihrer Lehrkräfte:

 

  • Schule benötigt kein Medienkonzept mehr im Sinne von „Das wollen wir inhaltlich tun“. Die technische Umsetzung ist Aufgabe des Schulträgers.
  • Schule muss sich nicht mehr darum kümmern, ob die eine oder andere Lösung datenschutzkompatibel ist. Das wird von der Behörde geklärt, insbesondere dann, wenn die Kultusministerien Lernmanagementsysteme (LMS) bereit stellen und deren Nutzung curricular verankern. Wenn dazu noch Einwilligungserklärungen der Eltern und volljährigen Schülerinnen und Schüler vorliegen müssen, dann sind die entsprechenden Formulare bereitzustellen.
  • Dienstgeräte der Lehrkräfte sind so auszustatten, dass sie Apps und Tools vorhalten, die bei der unterrichtlichen Umsetzung des Curriculums notwendig sind. Natürlich erfüllen diese Geräte die Forderungen an Datenschutzkonformität und ermöglichen ein single sign on Verfahren. Wünschenswert ist sicher, dass die Lehrkräfte Freiheiten eingeräumt erhalten, die Dienstgeräte mit eigenen Apps zu ergänzen. Gleichwohl ist das ein schwieriges Unterfangen.

Masterplan Schule

Für eine geeignete Konzeptentwicklung ist dem pädagogischen Personal zunächst einmal die Gelegenheit zu geben, sich auf Gesamtkonferenzebene, oder – besser noch – sich bei dem nächsten Pädagogischen Tag über die Erfahrungen der Pandemiewochen auszutauschen. Schulleitungen sehen sich möglicherweise gut unterstützt, wenn dieser Prozess extern moderiert wird, z. B. durch Personen aus der systemischen (Organisations)Beratung.

In der pädagogischen Auseinandersetzung bietet sich anschließend die Leitbildarbeit an. Es würde den Rahmen eines Magazinbeitrags sprengen, die Strategien im Einzelnen vorzustellen. Stattdessen hier eine Orientierungshilfe:

 

Leitbild

 

Schlussbemerkung

Dieser Leitbildansatz trägt dem Wunsch Rechnung, in der schulinternen Diskussion Antworten zu finden, wie  eben für das Leben und nicht für die Schule (Noten, Noten, Noten,…) gelernt wird (gemäß non scholae, sed vitae discimus, in Umwandlung eines berühmten Senecazitats aus einem Brief an Lucius Annaeus). Eine Anregung mag der folgende Tweet sein, der die Gutenberg- und Turing- Galaxie gut zusammenbringen kann:

 

Sicher ist es sinnvoll, sich ggfs. externe Expertise einzuholen. In Hessen – wie vermutlich in vielen Bundesländern – sind entsprechende Beratungsstellen eingerichtet. Darüber hinaus sind örtliche bzw. regionale Medienzentren geeignete Anlaufstellen. Der Bildungsserver hat dafür eine Informationsseite eingerichtet.

Ich wünsche Ihnen nun einen guten Start ins Jahr 2021, verbunden mit der Hoffnung, dass die Frusterfahrungen aus der Pandemiezeit nicht dazu führen, sich wieder die alten analogen Zeiten zurückzuwünschen, sondern – im Gegenteil – die Ausstattungsinitiativen pädagogisch genutzt werden. Ich hoffe weiterhin, dass darüber hinaus die Bildungsbehörden mehr inhaltliche und damit gestalterische Verantwortung übernehmen.

 

 

Alles Gute dazu, viel Erfolg und natürlich: Bleiben Sie gesund!

Stay tuned …

 

Update 12.01.2021: Schulreformen – Das kann bleiben , lesenswerter und die Ausführungen bestätigender Beitrag der SZ.

 

Bildnachweis:

Titelbild: Gerd Altmann @pixabay

Sketchnote: Nadine Emmerling (Kultusministerium Baden-Württemberg)

2021: Tumisu @pixabay

 

 

Footnotes

  1. Auszüge aus: https://www.schule-bw.de/themen-und-impulse/medienbildung/handreichungen/basisband/beitraege-schvw-bw-unterrichts-und-schulentwicklung/stefan-voss-schvw-bw-2-2019.pdf
  2. https://www.zeit.de/2018/14/anja-karliczek-bildung-schulen-umbau-deutschland
  3. https://dagstuhl.gi.de/dagstuhl-erklaerung