Hybride Lernsettings – wie führe ich die ein? (Teil 1)

Die Sommerferien sind vorbei, Corona & Co. noch da, leider. In diesem Artikel geht es um Öffnung von Schulen und den Umgang mit einem länderspezifischen PlanB. Es wurde in den letzten beiden Monaten einiges veröffentlicht. Mein Schwerpunkt liegt in einer Übersetzung eines Blogbeitrags aus den USA. Die Autorin Melanie Kitchen formuliert in neun Tipps, wie man Präsenzphase in der Schule und Lernen zu Hause sinnvoll gestalten kann. Es geht ihr vornehmlich um die Beziehungsebene, aber nicht nur. Auch der Sicherstellung eines Lernprozesses nimmt sie sich an. Die Ausführungen werden abschließend ergänzt um Ideen und Vorschläge aus der (deutschen) Twitter- und Blogszene…

Schülerinnen und Schüler wie auch Eltern erwarten bei einem erneuten Lockdown eine belastbare Strategie und Umsetzung von hybriden Lernsettings. Mangels geeigneter massenkompatibler Konzeptvorlagen wird vermutlich jede Schule ihre eigene Lösung suchen müssen. Zur Unterstützung bietet sich möglicherweise ein Beitrag an, der kürzlich im Rahmen eines Blogbeitrags von Jennifer Gonzales veröffentlicht wurde. Titel: 9 Ways Online Teaching Should be Different from Face-to-Face. Da ich die neun Tipps auch für unsere (deutsche) Schulwelt für übertragbar halte, stelle ich im Folgenden die Blaupause von Melanie Kitchen vor, da sie aufgrund ihrer Niederschwelligkeit den Vorteil bietet, schnell umgesetzt werden zu können.

Zur Person und erste Überlegungen

Melanie verfügt über jahrelange Erfahrung bei der Entwicklung von Blended Learning Konzepten und versorgt die nordamerikanischen Lehrkräfte mit Ideen zum Fernunterricht, hier mit neun Tipps zum Schuljahresbeginn.

Melanie empfiehlt, sich auf zwei Bereiche zu konzentrieren:

  • Technik und Empathie
  • Lernsettings

 

TECHNIK UND EMPATHIE

1. Tipp: Überfachlicher und technischer Kompetenzaufbau

Melanie: Widerstehen Sie der Versuchung, zu Beginn des Schuljahres direkt in den Lehrplan einzusteigen. Die Dinge werden reibungsloser verlaufen, wenn Sie die ersten Wochen dem Aufbau einer (Lern)Gemeinschaft widmen, damit sich die Schülerinnen und Schüler (sozial wie emotional) verbunden fühlen. (…) Darüber hinaus müssen die Lernenden mit den von Ihnen verwendeten digitalen Werkzeugen vertraut gemacht werden. 

2. Tipp: Verlässliche Kommunikationsstrukturen mit den Eltern schaffen

Melanie: Auch die Eltern stellen sich auf diese neue Art der Schule ein. Da von ihnen manchmal erwartet wird, dass sie eine noch wichtigere Rolle bei der Unterstützung des Lernens von ihren Kindern spielen, benötigen sie mehr Unterstützung von Ihnen. Wir brauchen wirklich Eltern, die unsere Partner in dieser Lerngemeinschaft sind. 

Hier sind einige Richtlinien:

  • Sorgen Sie für eine Plattform und einen vorab mitgeteilten  Zeitplan für den Informationsaustausch Wenn Eltern wissen, wo und wann sie nach Informationen von Ihnen suchen müssen, können sie sich auf ihre Ziele einstellen. Wöchentliche Updates sind eine gute Möglichkeit, alle über die Vorgänge in Ihrer Klasse auf dem Laufenden zu halten. Und anstatt zwischen E-Mails, Textbenachrichtigungen, Blog-Posts, Website-Ankündigungen und Newslettern zu wechseln, konzentrieren Sie sich auf ein Instrument für ausgehende Informationen und bleiben Sie dabei. Noch sinnvoller: Die Lehrkräfte der gesamten Schule verständigen sich auf dieses Instrument.
  • Setzen Sie klare Erwartungen und Grenzen für die Kommunikation. Wann können Schüler und Eltern erwarten, von Ihnen zu hören? Wie und wann können sie sich bei Bedarf mit Ihnen in Verbindung setzen? Wenn Sie keine Grenzen setzen, haben Sie das Gefühl, rund um die Uhr erreichbar zu sein, was schnell zu Burn-out führt. Richten Sie regelmäßige Sprechzeiten ein, sorgen Sie für eine Veröffentlichung an einem leicht zu findenden Ort und ermutigen Sie die Eltern, sich bei Ihnen zu melden.
  • Erstellen Sie einen Plan-B für Ausfallzeiten und technischen Support. An wen können sich Schülerinnen und Schüler und Eltern wenden, wenn sie außerhalb Ihrer regulären Sprechzeiten Hilfe benötigen oder Hilfe im Umgang mit der Technik? Auch hier gilt: Veröffentlichung an einem leicht zu findenden Ort.
  • Machen Sie die Kommunikation multimodal . Obwohl es wichtig ist, konsistent über eine Plattform zu posten, ist es auch hilfreich, die Informationen in mehr als einem Modus bereitzustellen. Sie können beispielsweise schriftliche Ankündigungen anbieten und jede Woche dieselben Ankündigungen in einem kurzen Video aufzeichnen, damit Schülerinnen und Schüler und Eltern das für sie am besten geeignete Format auswählen können.
  • Bieten Sie Tutorials an. Eltern können ihre Kinder besser unterstützen, wenn sie verstehen, wie sie mit der Technologie umgehen sollen. Stellen Sie ihnen daher Tutorials zu der von Ihnen verwendeten Technologie zur Verfügung , einschließlich der Plattform, auf der Sie Informationen verbreiten.
3. Tipp: Vernetzung der Lehrkräfte

Melanie: Die Lehrer müssen sich jetzt mehr denn je miteinander vernetzen. Ihre Schulleitung sollte regelmäßige Möglichkeiten für Sie schaffen, während dieser Zeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in Verbindung zu bleiben. Wenn dies nicht der Fall ist, schaffen Sie diese Möglichkeiten für sich. 

  • Dienstversammlungen, Gesamt- und Fachkonferenzen sollten weiterhin regelmäßig abgehalten werden – auch wenn dies über eine Videokonferenzplattform erfolgt.
  • Während dieser „Treffen“ sollte dem Wohlbefinden der Lehrkräfte und den sozialen und emotionalen Befindlichkeiten Rechnung getragen werden. 
  • Jahrgangsteams und themenspezifische Teams bilden.
  • Wenn Sie keine Unterstützung finden, suchen Sie sie über Plattformen wie Twitter.

LERNSETTINGS

4. Tipp: Zusammenarbeit der Lehrkräfte auf Klassenebene

Melanie: Wenn die Lehrkräfte zusammenarbeiten, wird es einfacher, die Herausforderungen des Online-Lernens zu meistern. Das bedeutet, (…) sicherzustellen, dass

  • die Materialien den Bedürfnissen aller Schülerinnen und Schüler entsprechen,
  • die beteiligten (Klassen)Lehrkräften im Inhaltsbereich so zusammenarbeiten, dass die Lernenden nicht immer wieder den gleichen Unterricht erhalten
  • man gemeinsam an fächer-, gegebenfalls auch klassen- und jahrgangsübergreifenden Projekten arbeitet und dabei die Aufgaben untereinander verteilt.

Überraschenderweise kann die Online-Zusammenarbeit leichter zum Erfolg führen, als der Versuch, dies im normalen Schulalltag zu organisieren. Die virtuelle Umgebung hat uns die Möglichkeit gegeben, die (Schul)Mauern einzureißen. Unsere Zeitbeschränkungen, die wir möglicherweise zuvor hatten, werden sinken. Wir haben möglicherweise mehr Gelegenheit, mit Menschen zusammenzuarbeiten, für die wir vorher weder Zeit noch Raum hatten.

5. Tipp: Die Face-to-face Zeiten für individuelle Unterstützung nutzen
Melanie: Der Online-Unterricht besteht weitgehend aus asynchronem Unterricht, auf den die Lernenden (in der Regel) jederzeit zugreifen können. Die Anwesenheitspflicht bei synchronem Unterricht ist für einige Schülerinnen und Schüler dann mit einem Nachteil verbunden, wenn sie nicht den gleichen Zugang zur Technologie, ein zuverlässiges Internet oder eine flexible Unterstützung zu Hause haben.

Persönliche und damit synchrone Gelegenheiten sind dann sinnvoll eingesetzt, wenn die Lernenden in sogenannten „Lagerfeuergruppen“ (campfire groups aufgeteilt werden. Dazu bestimmen Sie für diese Meetings z. B. vier Schülerinnen und Schüler. Diese Anordnung ermöglicht es den Lernenden, sich besser kennenzulernen und mehr Vertrauen aufzubauen. Die Schülerinnen und Schüler könnten für andere Aktivitäten neu arrangiert werden, um Abwechslung zu bieten, aber die Lagerfeuergruppen bieten während des gesamten Schuljahres eine stabile Basis.

Ergänzung
Diese Gruppen lassen sich auch bei hybriden Lernformen, z. B. durch Breakout/Meeting- Rooms bei Videokonferenzen herstellen. Esther Park (@MrsParkShine) hat dazu eine tolle Grafik1 erstellt, die noch deutlich weitergeht:

Welche Art von Unterrichtsaktivitäten sollten für diese synchronen und asynchronen Formate verwendet werden?

Am besten funktionieren direkte Anweisungen in asynchroner Form – wie kurze Videovorträge und Lesungen mit Verständnisprüfungen wie eingebettete Fragen.

Anschließend sorgen synchrone Settings für mehr Interaktivität zwischen Lehrenden und Lernenden. Hier ist dafür zu sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler motiviert werden, sich einzubringen. Das Angebot muss auf sie anregend wirken, damit sie diese (Online)Zeit wertschätzen. Jedes Mal, wenn die Kleingruppe mit dem Material arbeitet, sei es: kategorisieren, organisieren, weitere Gedanken darüber austauschen, eine Diskussion führen können, muss am Ende der Sitzung ein Feedback stehen, dass es großartig war, die Zeit in der Kleingruppe zugebracht zu haben. 

Als Kleingruppenstrategien empfiehlt Melanie nachdrücklich:

Bemerkung: Die Links führen auf frühere Blogbeiträge von Jennifer, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Übersetzungen lassen sich mittels Deepl.com oder direkt im Browser (rechte Maustaste, Option Übersetzen in Deutsch erzeugen). Ich will Melanies Gedankengang an dieser Stelle nicht stören und werde stattdessen in einem Folgebeitrag diese Tipps um einige deutschsprachige Veröffentlichungen (E-Books) ergänzen …

6. Tipp: Inhalte sind in kleineren Häppchen und in einem angemessenen Tempo anzubieten

Melanie: Online-Unterricht ist nicht geeignet, große Mengen an Inhalten abzudecken. Sie müssen daher mit Bedacht ausgewählt werden. Um diese Auswahl zu treffen, sind vorab einige wichtige Fragen zu stellen:

  • Welche Inhalte sind bezüglich der nächsten Klassenstufe wirklich relevant? Welche besitzen eine Hebelwirkung? 
  • Welche Kenntnisse und Fähigkeiten müssen die Schülerinnen und Schüler mitbringen?
  • Welche Praktiken können über viele Inhaltsbereiche hinweg benutzt werden? Kompetenzen wie Analysieren, Konstruieren von Argumenten, Aufbau einer Wissensbasis (Wikis) können in vielen verschiedenen Fächern vermittelt werden. 
  • Welche Tools können mehreren Zwecken dienen? Wenn Sie den Schülerinnen und Schülern beibringen, etwas wie ein Padlet zu verwenden, können sie Audio, Zeichnen, Schreiben und Video verwenden. Nicht-digitale Werkzeuge können auch funktionieren: Um Aufgaben zu lösen, können die Lernenden Gegenstände aus dem eigenen Haushalt einsetzen, um sie dann mittels eines Fotos einzureichen.
7. Tipp: Klare Ansagen

Melanie:

  • Geben Sie Ihre Anweisungen an einem vereinbarten Ort, zu einem vereinbarten  Zeitpunkt. Dieser Rat wurde bereits für Eltern gegeben, aber es lohnt sich, ihn hier erneut zu wiederholen: Richten Sie den Unterricht so ein, dass die Schülerinnen und Schüler jedes Mal wissen, wo sie die Aufgaben finden. 
  • Bieten Sie multimodale Anweisungen an. Bieten Sie nach Möglichkeit sowohl schriftliche als auch videobasierte Formate für Ihre Aufgabenstellungen an, damit die Lernenden auswählen können. Sie können verbindliche und unverbindliche synchrone Tages- und/ oder Wochenmeetings anbieten. Wenn es ein unverbindliches Angebot ist, dann können die Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden, ob der angegebene Zeitpunkt für sie am besten geeignet ist.
8. Tipp: Traditionelle Bewertungsraster durch formative Feedbacks ersetzen

Melanie: Während des Fernunterrichts hat jeder von uns unterschiedliche Anforderungen an Noten oder keine Noten, bestanden und nicht bestanden formuliert. Das verunsichert die Schülerinnen und Schüler. Besser sind mündliche oder gedruckte Feedbacks darüber, was sie richtig machen und was sie verbessern können.

Wenn Sie also aus der Ferne unterrichten, legen Sie den Schwerpunkt auf formatives Feedback, anstatt sie am Ende einfach zu bewerten. 

  • Die meisten Lernverwaltungsplattformen verfügen über integrierte Funktionen, um Feedback zu geben. Verwenden Sie diese als primäre Methode. 
  • Tools bieten weitere Möglichkeiten, um Feedback vor Ort zu geben.
  • Feedback sollte häufig und spezifisch sein. 
  • Bieten Sie Schülerinnen und Schüler und Eltern einen Weg an, um auch Ihnen ein Feedback zu den Unterrichtssettings und Aufgaben zu geben. 
9. Tipp: Eine abschließende, summative Bewertung sollte Produkt bezogen durchgeführt werden

Melanie: Es gibt so viele Möglichkeiten, wie Schülerinnen und Schüler schummeln können. Wenn wir ihnen also den traditionellen Test geben, ist es für sie einfach, diese Informationen einfach nachzuschlagen.

Eine gute Lösung für dieses Problem besteht darin, dass die Schülerinnen und Schüler Produkte erstellen. Das können Videos, Podcasts, digitale oder physische Kunst, Schreibstücke, Comics usw. sein. Es führt viele Kompetenzbereiche zusammen.

Schlussbemerkung

Noch einmal Melanie:

Nicht alles im Online-Unterricht ist anders. Einige Aspekte eines guten Unterrichts bleiben erhalten: 

  • Klare und konsistente Kommunikation
  • Schaffung expliziter und konsistenter Rituale und Routinen
  • Verwendung forschungsbasierter Unterrichtsstrategien
  • Bestimmen, ob digitale oder nicht-digitale Werkzeuge für eine Aufgabe verwendet werden sollen
  • Ein Schwerpunkt auf authentischem Lernen, bei dem authentische Produkte geschaffen werden und die Schülerinnen und Schüler bei den Aufgaben Mitspracherecht und Wahlmöglichkeiten haben

Das Unterrichtsumfeld ist vielleicht nicht das gleiche wie gewohnt, aber es ist wichtig, daran zu denken, dass guter Unterricht guter Unterricht bleibt. All die Dinge, von denen wir wissen, dass sie wirklich gute und bewährte Praxis sind, können auch virtuell durchgeführt werden. Es könnte nur ein bisschen anders aussehen.

Wie kann eine Schule vorgehen? Hier einige Ideen aus der Szene:

Bildnachweis:

Titelbild: Michael Fisher (@fisher1000)

Melanie Kitchen (aus dem o.g. Blogbeitrag)